Adolf Wach, Reform des Rechtsunterrichts. Vorbildung des Juristenstandes. 151
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2. iiömnen
Dernburg). Man befürwortet, den praktischen Dienst dem Studium teilweise voraus-
zuschicken, oder beides nebeneinander hergehen, oder das Studium durch die Praxis
unterbrechen zu lassen. Die Gründe sind immer dieselben; man will den Mangel
der Anschauung beheben, den „Wirklichkeitshunger“ der Studierenden befriedigen,
sie ins Rechtsleben in foro einführen und durch alles das ihr Interesse an der Sache,
ihre Empfänglichkeit und ihr Verständnis für die theoretischen Vorträge steigern. Das
soll nach den Einen dadurch geschehen, dass die Praxis unmittelbar nach Beendigung der
Schulzeit beginnt und so den Zweck jener Einführung und des elementaren Unterrichts
erfüllt?2.. Wie lange diese „Vorpraxis“ auszudehnen und ob zu ihr ein Dozent heranzuziehen,
das sind untergeordnete Fragen. — Ausser ihr oder auch an ihrer statt wird eine prak-
tische Ferienbeschäftigung der Studiernden (Nebenpraxis), der Besuch von Gerichts-
sitzungen unter sachkundiger Leitung und ähnliches mehr empfohlen. Eine das Studium
unterbrechende Zwischenpraxis, an die sich — darüber differieren die Meinungen — nach
vollendentem Universitätsunterricht die Schlusspraxis anreiht, scheint neuerdings manchen
die Lösung des Problems. Zitelmann denkt sich das so: zuerst eine dreisemestrige
dogmatisch-historische Einführung in die Rechtswissenschaft und zwar im 1. Semester in
das Staats-Verwaltungs-Kirchen- und Völkerrecht, im 2. in das bürgerliche Recht, im 3. in das
Strafrecht, in die Prozesse; darauf nach bestandenem Examen eine zweijährige Praxis, die
nur subaltern sein könnte, allein ausreichen soll, um Anschauung zu schaffen und den
Wissensdurst zu steigern; nun ohne weiteres Rückkehr für den Studienreifen und Studien-
geneigten an die Universität zu vertieftem fünfsemestrigen Unterricht in all’ die bisher nur
obiter getriebenen Disziplinen; endlich eine einjährige Praxis mit dem Abschluss des
Assessorexamens und zwar jetzt schon unter Irennung der Justiz- und Regierungskandidaten.
Man hat sich zu diesem Plan von praktischer und theoretischer Seite ablehnend gestellt,
Und es lässt sich nicht verkennen, dass trotz manches Anmutenden die Bedenken überwiegen:
vom Standpunkt des Praktikers der Einwand der Unbrauchbarkeit dieser nur dfrei-
semestrig vorgeschulten Referendare — und man kann hinzufügen der folgeweisen Un-
fruchtbarkeit des zweijährigen Zwischendienstes — vom Standpunkt des Universitätslehrers
die berechtigte Scheu vor dem „vertieften“ Wiederholen des schon einführungsweise Vor-
getragenen und die Befürchtung, dass jetzt zwar nicht die ersten Semester, wohl aber die
spätern würden verbummelt werden, zumal dieses Studium ohne Examen schliesst und man
sich auf die Assessorprüfung später vorbereiten wird. — Nicht minder unbrauchbar sind
die Vorschläge der Vor- und Nebenpraxis. Wie kann man die elementare begriffsmässige
Schulung auf die Praxis abschieben wollen, während sie dazu schlechthin ungeeignet ist und
der Unterricht in den Grundbegriffen die wichtigste und schwierigste Aufgabe des Dozenten
bildet. Wasaber die „Nebenpraxis“ leisten soll, lässt sich ausreichend im akademischen Unter-
richt erreichen. |
IV
Die Reform.
Der akademische Unterricht vermag nicht in die Praxis einzuführen und der prak-
tische nicht die wissenschaftliche Beherrschung des Stoffes zu vermitteln. Daher kann nicht
der eine den andern ersetzen — bei keinerlei Wandelung und Erweiterung. Es wird also
auch fernerhin der eine, wie der andere unentbehrlich sein. Auch wird das Universitäts-
studium der praktischen Schulung vorausgehen müssen. Denn ohne Kenntniss der Rechts-
sätze und Begriffe bleibt die Anschauung ohne Frucht und die etwaige Verwendung in der
Praxis auf das äusserliche Handwerk beschränkt. Aber Universitätsunterricht, wie Vorbe-
reitungsdienst bedürfen der Reform.
| 1. Der akademische Unterricht muss in höherem Grade, wie bisher, zur Arbeit an-
leiten und zur verständnisvollen Aneignung des Gehörten fördern. Praktika und Exegetika
°) Jetzt besonders Krückmann, Vorpraxis, akademische Rechtsprechung und anderes. Tübingen 1910.
Dagegen Gerlanda. a. 0. S. 107£.,