Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Erster Band. (1)

16 I. Rechtsphilosophie und Universalrechtsgeschichte. 
Die Rechtsphilosophie aber verhält sich zur Rechtspolitik wie folgt: sie gibt der Rechts- 
politik die Bestätigung und die Begründung sie blickt vor- und rückwärts sie schaut in die nächste 
Nähe wie in die fernste Ferne; die Rechtspolitik hat nur die unserer jetzigen Gesetzgebung 
erreichbare nächste Zukunft ins Auge zu fassen 7. 
§ 10. Rechtsphilosophie und Rechtstechnik. 
Ebenso unterscheidet sich die Rechtsphilosophie von der Wissenschaft der Technik des Rechts. 
Davon gilt aber folgendes: 
Die Rechtsprechung hat die Erreichung des Gerechten zum Zweck. Solange das Recht 
noch im Volke lebt und sich lediglich gewohnheitsmäßig fortbildet, ist die Rechtsprechung eine 
völlig unbewußte. Man schlußfolgert nicht, man vergleicht nicht ausdrücklich, man empfindet 
nur an. Man entnimmt dem Leben das Gefühl dessen, was das Recht will, und behandelt die 
Ahnlichkeiten von selbst ähnlich. Auf diese Weise bildet sich ein gewisses Gefühl, eine gewisse 
Empfindung, und diese tritt in der Rechtsprechung zutage. 
Erst wenn das Gesetzesrecht unter dem Einflusse des Häuptlingstums eine größere Be- 
deutung gewinnt, wird allmählich die Rechtsprechung zu einer bewußt überlegenden. Das 
Gesetz kann nicht anders als begrifflich sprechen; höchstens noch, daß es durch erläuternde Bei- 
spiele dem Rechtssinn entgegenkommen kann. Aus den Begriffen aber entwickelt sich die be- 
wußte Rechtsprechung und damit schließlich die Rechtswissenschaft. 
Die bewußte Rechtswissenschaft hat es zunächst damit zu tun, Begriffe zu zergliedern 
und das in ihnen Enthaltene zu erkennen. Dabei läuft sie allerdings Gefahren; denn 
die Begriffe sind bekanntlich niemals so scharf, daß sie einen festen Abschluß bieten, sondern 
sie bezeichnen das, was das Recht will, vielfach nur von ungefähr. Wenn z. B. von Offentlich- 
keit, von Argernis, von Besitz die Rede ist, so läßt sich zwar in vielen Fällen, die gleichsam in 
der Mitte des Begriffes liegen, die Entscheidung mit Sicherheit geben; nicht ebenso aber, wenn 
man an die Grenzen des Begriffs gelangt; denn da verschwimmt der Begriff und geht in ein 
Halbdunkel über, so daß es schwer zu sagen ist, wo er endgültig aufhört. 
Auch das muß hervorgehoben werden, daß Begriffe nicht immer den gleichen Inhalt 
haben, wenn sie auch durch dasselbe Wort gedeckt sind; so kann der Ausdruck gewerblich oder 
gewerbsmäßig je nach der Materie, in der er gebraucht wird, Verschiedenes bezeichnen. 
Die Gefahren der Begriffsjurisprudenz bestehen nun darin, daß man den Begriff un- 
juristisch gebraucht, d. h. beides nicht berücksichtigt, einmal die schillernde Natur des Rechts- 
begriffes und sodann die Verschiedenheit des Wortes und Begriffes in den verschiedenen Materien. 
Aber hier muß als Korrektiv ein Zweifaches hinzutreten: einmal das Rechtsgefühl, d. h. das 
unbewußte Rechtserkennen, das Anempfinden, von dem soeben gesprochen worden ist; dieses 
wird auch in der neuen Epoche des Rechts nicht völlig verschwinden können. Ein zweites be- 
steht darin, daß man aus dem Begriff nicht nur eine, sondern viele Folgerungen zieht und dabei 
ins Auge faßt, ob diese Folgerungen vernünftig oder unsinnig und widerspruchsvoll sind. 
Ohne diese Korrektive sollte kein Jurist arbeiten. 
Die begriffliche Auffassung des Rechts führt aber zu der Idee der subjektiven Rechte; 
denn die Rechtsordnung muß sich der Persönlichkeit und ihren Bestrebungen in der Art an- 
schließen, daß sie ihr ein bestimmtes Gebiet ausschließlicher Betätigung zuweist. Dieses Gebiet 
und die auf diesem Gebiet dem Einzelnen zugeschriebenen Befugnisse bilden Rahmen und Inhalt 
für die subjektiven Rechte. Die subjektiven Rechte (und Rechtsverhältnisse) erschöpfen das Recht 
nicht, bilden aber den wesentlichsten Bestandteil des von der Rechtsordnung geschaffenen Rechts- 
zustandes 2. 
§ 11. Universalrechtsgeschichte. 
Die Universalrechtsgeschichte, die man auch vergleichende Rechtswissen- 
schaft zu nennen pflegt, hat die Aufgabe, womöglich die Rechte aller Völker zu erforschen, der 
lebenden wie der toten, und zwar nicht nur was die objektive Rechtsordnung, sondern auch was 
1 Ugl. auch Fedabch im Arch. f. Rechtsphil. III S. 200 f. 
* Lehrb. der Rechtsphilosophie S. 43.
	        
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