Full text: Deutsches Kolonialblatt. X. Jahrgang, 1899. (10)

schaften ist demnach in der That eine so große, daß 
sie für die schnelle Bevölkerungszunahme äußerst 
günstig sein müßte. Leider besteht vielfach die Sitte 
der Fruchtabtreibung, in der jede Negerin Meisterin 
ist, und an manchen Orten auch die Sitte des 
Kindesmordes. Dagegen muß seitens der Behörden, 
seitens der Missionen und seitens jedes Menschen, 
dem das Gedeihen der Kultur des Landes am 
Herzen liegt, auf das Energischste angekämpft werden. 
Dazu aber reicht die Aussicht und Autorität der 
weit voneinander entfernt liegenden Europäerstationen, 
die oft vierzehntägige oder noch weitere Märsche er- 
fordern, um miteinander in Verbindung zu treten, 
nicht aus. Die Stationen müssen in nähere und 
schnellere Verbindung miteinander gebracht werden, 
und das kann nur geschehen durch Eisenbahnen. 
Diese Letzteren werden die Nachrichten über Kinder- 
morde den Europberstationen schneller und zahl- 
reicher zuführen und die schnelle Sühne ermöglichen. 
Längs der Eisenbahn aber werden sich auch aller- 
hand Europäerniederlassungen und mit ihnen ebenso 
viele Kulturcentren entwickeln, die auf die Neger- 
bevölkerung civilisatorisch einwirken und deren Sitten 
und Anschauungen mildern. Die Zahl der Frucht- 
abtreibungen und namentlich die Zahl der Kinder- 
morde, die zumeist aus Aberglauben unternommen 
werden, wird sich naturgemäß vermindern. 
In viel höherem Maße aber wie Fruchtabtrei- 
bungen und Kindesmorde sind es die mörderischen 
Seuchen, die fast Jahr aus Jahr ein in der 
Kolonie herrschen und ein Wachsen der Einwohner- 
zahl verhindern. In erster Linie kommen hier 
Pocken und Ruhr in Betracht. Beides sind aus- 
gesprochene Karawanenkrankheiten, 
Karawanenleuten in erschreckender Weise aufräumen 
und durch die Karawanen ihre Weiterverbreitung 
finden. In den Zeiten, wo diese Seuchen herrschen, 
findet man an den Karawanenstraßen und namentlich 
an den Wasser= bezw. Rastplätzen die unbeerdigten 
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die unter den 
Leichen der daran Gestorbenen in großer Anzahl. 
liegen. Die Karawanen verschleppen die Seuchen, 
wenn sie in einem weltentlegenen Winkel ausbrechen, 
mit größter Schnelligkeit durch das ganze Land. 
Ziffern anzugeben für die Opfer, die den Pocken 
zurückzubleiben, wenn ich soge, daß das Schutzgebiet 
allein im letzten Jahre mehr wie 150 000 Menschen 
an Pocken und Ruhr verloren hat. Alle An- 
strengungen, die die Behörden zur Bekämpfung dieser 
Volks= und Karawanenseuchen machen, Schutzpocken- 
impfungen, Anlegen von Brunnen 2c., sind Tropfen 
auf einen heißen Stein, so lange man nicht das Uebel 
an der Wurzel angreift, so lange man nicht den 
Karawanenzügen ein Ende macht. 
nur möglich dadurch, daß man für den Güteraus- 
tausch ondere Einrichtungen schafft, und das kann 
nur eine Eisenbahn sem, da Zugthiere in Deutsch- 
Ostafrika, wie wir weiter unten sehen werden, nur 
—–—. 
einen bedingten Werth haben. Andererseits er- 
möglichen es Eisenbahnen, den Seuchen bei ihrem 
Entstehen schnellstens und energisch entgegenzutreten. 
Wenn irgendwo im Innern Pocken ausbrechen, so 
wird die Nachricht mittelst des von der Eisenbahn 
unzertrennlichen Telegraphen der Behörde schnellstens 
bekannt, und mittelst der Eisenbahn wird schleunigst 
ärztliche Hülfe hingesandt, um durch Impfungen der 
Bevölkerung und sonstige hygienische Maßnahmen 
die Seuche an ihrem Herde zu ersticken.“) 
In ähnlicher Weise wie die Seuchen räumt 
Hungersnoth unter der eingeborenen Bevölkerung auf. 
Sie ist zumal die Folge von Dürre oder Heuschrecken- 
fraß. In einem Jahre verwüstet der Hunger nur 
umschriebene Bezirke, in anderen größere Theile der 
Kolonie. In den letzten fünf Jahren dürfte die 
Kolonie nach meiner Schätzung etwa 3¾/4 Millionen 
Menschen am Hunger verloren haben. Eine aus- 
reichende Hülfeleistung ist ohne Eisenbahnen nicht 
möglich. Mit Trägern können die Nahrungsmittel 
nicht in die Hungerbezirke geschafft werden, wie es 
ein einfaches Rechenexempel schlagend beweist. Nehmen 
wir an, daß Hungersnoth in einem 30 Tagemärsche 
von der Küste entfernten Bezirke ausbricht und daß 
von der Küste aus Nahrungsmittel, z. B. Reis, hin- 
aufgeschafft werden soll. Ein Träger pflegt eine Last 
von 50 Pfund fortzuschaffen. Zu seiner eigenen 
Ernährung bedarf er täglich mindestens 1½ Pfund 
Reis. Es kann also gar nicht anders kommen, als 
daß er am Ziel seiner Reise kaum mehr als den 
leeren Sack abliesert. Wie werden da die Eisen- 
bahnen ausgleichend wirken! Und noch eins ist zu 
erwägen! Seit etwa einem halben Jahre kennen 
wir ein Mittel, mit dem man der Hauptursache der 
Hungersnoth direkt zu Leibe gehen kann. Es ist das 
ein Pilz, mit dem man Heuschrecken eine äußerst 
ansteckende tödliche Krankheit einimpfen kann, so daß 
die größten Schwärme in wenigen Tagen zu Grunde 
gehen. Leider sind die Pilzkulturen sehr empfindlich, 
so daß sie bei den derzeitigen Verkehrsbedingungen 
nur selten den Wochen oder gar Monate währenden 
Transport ins Innere überleben. Auch gehört eine 
gewisse sachverständige Behandlung der Pilzkulturen 
. , „Pocken dazu, eventuell sogar ein immerwährendes Weiter- 
und der Ruhr Jahr ein Jahr aus erliegen, ist nicht 
leicht, jedoch glaube ich noch hinter der Wahrheit 
züchten im bakteriologischen Laboratorium, um sie im 
Moment des Bedarfs in wirkungsvollem Zustand zu 
besitzen. Vergegenwärtigen wir uns, wie sich eine 
Heuschreckeninvasion bei den derzeitigen Verkehrs- 
Das ist aber 
bedingungen in vielen Fällen gestaltet. Setzen wir 
den Fall, daß im Bezirk Kilossa, 14 Tagemärsche 
*) Den geschilderten Vortheilen der Eisenbahnen bei 
der Bekämpfung verheerender Seuchen dürften auch gewisse 
Nachtheile gegenüberstehen. Nach den in Europa gemachten 
Erfahrungen erscheint zweifellos, daß vervollkommnete Ver- 
kehrsmittel, wie Eisenbahnen, die schnellere Verschleppung 
von Infektionskrankheiten, wie z. B. Cholera und Beulen- 
pest, begünstigen, eine Gefahr, der allerdings durch eine 
systematische Ueberwachung des Eisenbahnverkehrs während 
des Herrschens von Epidemien vorgebeugt werden kann.
	        
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