Full text: Deutsches Kolonialblatt. XII. Jahrgang, 1901. (12)

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Die hier so häufigen und heftigen Stürme machten 
aber ferner eine solide Befestigung des Daches noth- 
wendig. Daher legte man auf jede der Säulen 
einen schweren Stein, um welchen man die das Dach- 
gerüst haltenden Bastschnüre schlang. Die Form 
einer im hiesigen Meere häufigen Koralle wurde 
vorbildlich und diese zuerst wahrscheinlich unbearbeitet 
benutzt. Nach der Erfindung des Mörtels gab man 
dem „Kapitäl“ die zweckmäßige, halbkugelförmige 
Gestalt, welche zugleich eine gleichmäßige, ebene Unter- 
lage für den Boden des Wohnraumes bot. Gerade 
der Umstand, daß diese und keine andere Form der 
Säule und des Kapitäls auf den Marianen gefunden 
wird, spricht gegen die künstlerische Phantasie der 
Alten. Auch die Thatsache, daß den Priestern, welche 
die Sitten und Gebräuche, die Einrichtungen und 
Kämpfe der Ureinwohner eingehend schilderten, diese 
sonderbaren Bauwerke nicht aufgefallen sind, erklärt 
sich nun leicht: sie waren von außen durch das über- 
hängende Dach aus Palmblättern, im Innern durch 
den Boden verdeckt; und wenn, wie es so häufig 
vorkam, die Spanier die Dörfer abbrannten, so be- 
gruben die zusammenstürzenden Trümmer Säulen 
und Kapitäle. 
Was die Säulen von Tinian auszeichnet, das ist 
ihre Größe: Etwa 150 m von der Niederlassung 
entfernt stehen oder standen in zwei parallelen Reihen 
w hohe imposante Säulen von folgenden Dimen- 
onen: 
Basis unten 1.45 2x 1,10 m, 
Säule = oben 1,20 = 0,85 = 
L Höhe 4.10 m. 
Kopitäl: Durchmesser 2.45 m. 
Entfernung von Säulenmitte zu Säulenmitte: 
3.60 m, 
Entfernung der Säulenreihen voneinander: 
4,22 m. 
Die Säulenflächen sind schwach gekrümmt. Die 
Säulen haben kein Fundament. 1855 standen noch 
neun aufrecht, heute sind alle bis auf fünf umgestürzt. 
Dos Material ist sonderbarerweise nur ein allerdings 
sehr harter Mörtel. Steine sind in den abgebrochenen 
Stücken keine vorhanden, auch an der Verwitterung 
lassen sich die vertikal aufgetragenen Mörtelschichten 
deutlich erkennen; diejenigen der Kapitäle liegen hori- 
zontal. Tie Gesammtlänge des Gebäudes betrug 
2 m, seine Breite 5.32 m Zischen der dritten 
und vierten Säule, 167 cm vor der Mitte des 
Hauses, liegt ein runder Stein mit drei excentrischen 
Siufen von je etwa 10 cm Höhe; auf der obersten 
ist ein Loch von 182968 cm. Dieser Stein diente 
nicht etwa zur Aufnahme einer Leiter, muttelst welcher 
man ein auf den Säulen aufgebautes Haus erreichte: 
cist der Fuß eines Kreuzes, welches vor allen 
Hiusern chrisilicher Chamorros in der Zeit der Be- 
lhrung errichtet wurde. Ein ähnlicher Stein, nur 
mit concentrischen Stufen, liegt vor der 1874 oder 
1875 errichteten Kapelle in Tinian. 
Eine Ruine wird das Haus des Taga genannt, 
  
eines Kaziken, der im Jahre 1638 schiffbrüchige 
Spanier beschützt und später in den Religionskämpfen 
auf Seiten der Spanier gestanden hatte. Es ging 
die Sage, er habe seine schöne, im jugendlichen Alter 
verstorbene Tochter auf einer der Säulen seines Hauses 
beerdigt und mit Reismehl bedeckt. Thatsächlich 
wurde 1855 auf der vierten Säule der Vorderreihe 
ein menschlicher Kiefer und einige Fingerknochen ge- 
funden. Ich erstieg diese Säule und fand in der 
That eine grabähnliche Höhlung auf dem Kapitäl 
von 181—442 40 cm Ausdehnung. Es ist daher, 
zumal die Missionare berichten, daß die Eingeborenen 
ihre Angehörigen in den Häusern beerdigten, nicht 
ausgeschlossen, daß auch in den Kapitälen der übrigen 
Ruinen menschliche Gebeine eingemauert sind. In 
seiner ursprünglichen Form wird das Haus des Taga 
sich von den übrigen Häusern der Vornehmen wohl 
nur durch seine Größe unterschieden haben. Die 
   
Länge von 28 m und die Lage des Kreuzes deuten 
darauf hm, daß der Eingang sich in der Mitte be- 
fand und das Haus in zwei getrennte Räume theilte; 
vielleicht waren mehrere Böden übereinander an- 
gebracht. 
In der Niederlassung liegt das alte, „Palacio“ 
genannte öffentliche Gebäude, ein gut erhaltener, statt- 
licher Bau (16,19 2& 6,8 m) mit dicken Steinmauern, 
aber einem Dach aus Palmblättern, das demnächst 
durch Zink ersetzt werden soll. Es muß in der 
Missionszeit von 1669 bis 1690 erbaut sein. Tinian 
war damals der Hauptort für die Mission der nörd- 
lichen Inseln und hatte ein Seminar (1671) und 
ständige Besatzung. 1670 wurde der Pater Medina 
in Saipan, 1684 Pater Strobach aus Mähren nebst 
18 Soldaten in Tinian ermordet und 1690 wiederum
	        
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