Full text: Deutsches Kolonialblatt. XVIII. Jahrgang, 1907. (18)

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neben jeden deutschen oder französischen Grenz- 
pfahl einen englischen zu setzen und möglichst 
alles in Besitz zu nehmen, was noch zu haben 
war. In seiner großen Historischen Geographie 
der britischen Kolonien spricht es Lucas, einer 
der Leiter des englischen Kolonialamts, offen aus: 
For better or worse, a pride or a burden to 
the coming generation, we must retain it, 
wohl oder übel, ob ein Stolz oder eine Last für 
die kommenden Geschlechter, wir müssen behalten, 
was sonst Franzosen oder Deutsche nehmen 
würden. Daß dies nicht ein Zug ist, der sich 
nur bei den alten enropäischen Bölkern ent- 
wickelt hat, das zeigt deutlich das Vorgehen der 
Vereinigten Staaten. Die Vereinigten Staaten 
sind in sich selbst befriedigt, mehr als irgend ein 
anderer Staat es sein kann. Sie haben Boden 
daheim in Hülle und Fülle zu neuer Siedlung. 
Lange hat man sie für den Friedensstaat an sich 
gehalten, einen Staat ohne Kriegsmacht, nur 
durch den Willen seiner Bürger geleitet. Das 
Urteil hat sich gewandelt seit dem spanischen Kriege 
von 1898. Als damals am 30. Juli die 
Friedenspräliminarien vereinbart wurden, da 
war von der Abtretung der Philippinen nicht 
die Rede; die Entscheidung über sie sollte späterer 
besonderer Vereinbarung vorbehalten bleiben. Im 
Oktober hielt Mec. Kinley dann auf der inter- 
nationalen Ausstellung in Omaha City die denk- 
würdige Rede, in der er den Amerikanern sagte: 
Wir müssen die Verantwortung auf uns nehmen; 
wir können sie nicht abwälzen, auch wenn wir 
möchten; wir müssen sie mutig und weise tragen 
und die Bahnen der Pflicht wandeln; es ist eine 
Pflicht für unsere Zukunft. Gegen allen völker- 
rechtlichens Brauch kam Amerika nachträglich mit 
der Forderung, die Philippinen abzutreten. Also 
auch bei einem Volke, das überreichlich Raum 
besitzt, fest in sich und stark ist, das es nicht 
nötig hat, die Hand nach außen zu strecken, die 
Auffassung: Die Erde wird vergeben, wir müssen 
Besitz ergreifen von Land, das noch zu Gebote 
steht und uns nützlich und notwendig sein kann. 
Sollten wir allein zurückstehen, uns zurückdrängen 
lassen, während Völker, die in kolonialer Tätig- 
keit eine jahrhundertlange Erfahrung haben, 
Kolonien erwerben, wo und wie sie nur immer 
können? Sollen wir zurückstehen wie kleine 
Nationen, die aus der Not eine Tugend machen 
müssen? Das kann niemand erwarten und würde 
kein urteilsfähiger Fremder verstehen. Was wir 
erwarben, erwarben wir mit gutem Grunde; wir 
wollen und müssen es behaupten. Die Zeiten 
sind vorüber, wo man ernstlich vom Aufgeben 
und Liquidieren reden konnte. Wer heute solche 
Ansichten vertritt, ist rückständig, völlig rückständig. 
Die Zukunft gehört denen, die die Gegenwart 
  
verstehen. Seien Sie davon überzeugt, daß auch 
unsere Nation ihren Teil von der Erde haben 
wird. 
Ich will nur noch an zwei Beispielen zeigen, 
wie sehr man irren kann in der Baeurteilung 
großer Länder, und daß es eine Torheit, eine 
Leichtfertigkeit ist, über Gebiete in einem Atem 
abzunrkeilen, die größer sind als Deutschland, 
wie man seinerzeit von Ostafrika gesagt hat, 
es sei nichts wert, wo es gesund sei, und unge- 
sund, wo es etwas wert sei. Die Beispiele ent- 
nehme ich aus der Geschichte Amerikas. Alaska 
ist lange als ein Land angesehen worden, wie 
es ein traurigeres nicht geben könne. 1867 
wurde Alaska seitens der Amerikaner den Russen 
um 7200 000 Dollar abgekauft. Im Kongreß 
begegnete die Vorlage heftigem Widerspruch. Es 
wurde gesagt, Alaska sei ein unwirtliches, elendes, 
gottverlassenes Land, an unhospitable, wretched, 
godforsaken country. Man solle den Russen 
das Geld geben und sie bitten, das Land zu be- 
halten; wenn das nicht geschehen könne, solle 
man es irgend einer eunropäischen, asiatischen, 
afrikanischen Macht anbieten und sie bitten, Geld 
und Land zu nehmen. Das waren die An- 
sichten, die damals vertreten wurden. Und jetzt? 
In Alaska liegt Klondike! Aber schon allein der 
Pelzhandel und der Fischfang haben den Ameri- 
kanern alljährlich mehr Ertrag gebracht als die 
ganze Kaufsumme betrug. 
Das andere Beispiel ist Oregon, das nach 
langen Verhandlungen zwischen England und 
Amerika 1846 für Amerika gewonnen wurde. 
Die Beurteilung dieses Gebietes war ebenfalls 
eine höchst abfällige, die Aktion stieß auf ähnlichen 
Widerstand, wie die spätere betreffs Alaska. Mac 
Duffie erklärte im Senat, für ein derartiges Land, 
zu dem man nur über 700 Meilen regenlosen, 
sandigen Bodens gelangen könne, das von Ge- 
birgen starre und in das eine Eisenbahn zu 
führen, die Schätze Indiens nicht ausreichen 
würden, gebe er nicht eine Prise. Was dieses 
Land jetzt für die Vereinigten Staaten bedeutet, 
wissen Sie alle. Diese Hergänge warnen, voreilig 
abfällige Urteile über ausgedehnte Länder zu 
fällen, die dem ersten Blick wertlos erscheinen. 
Es liegt für uns eine Pflicht vor, um die 
Wohlfahrt, die Zukunft unser res Volkes besorgt zu 
sein. Es ist aber auch eine Ehrenpflicht, Land 
nicht aufzugeben, das unser ist und um das Blut 
unserer Söhne geflossen ist. Wie würden wir 
dastehen in der Welt, wenn wir unseren Platz 
draußen verlassen wollten! Wir würden zum Spott 
der Nationen werden, und andere würden sich 
sofort an unsere Stelle setzen. Aber noch eine 
andere Pflicht gilt es dort zu erfüllen, die Pflicht 
der Monschlichkeit. Mit Staunen liest jeder auch
	        
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