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der Tabakbauern für die herrschenden Zustände
verantwortlich gemacht. Die Vereinigungen
leugnen in ihren öffentlichen Erklärungen jede
unmittelbare oder mittelbare Beteiligung an dem
gesetzwidrigen Treiben der Nachtreiter.
Die öffentliche Meinung in Kentucky ist im
allgemeinen auf der Seite der Tabakbauern und
Nachtreiter. Einen interessanten Beleg hierfür
bilden die Verhandlungen, die vor einigen Wochen
vor dem Schwurgerichte der Grafschaft Lyon
stattgefunden haben. Es lagen mehrere hundert
Anklagen gegen Nachtreiter vor. Auch nicht in
einem einzigen Falle kam es zur Eröffnung der
Hauptverhandlung. Zwei unter den Angeklagten
befindliche Beamte, ein Richter und ein Staats-
anwalt, wurden von den Geschworenen außer
Verfolgung gesetzt, ohne daß dem öffentlichen
Ankläger Gelegenheit gegeben wurde, die an-
geblich in seinem Besitze befindlichen Beweise
vorzubringen. In der Nacht vor Entlassung der
Geschworenen wurde der Hof eines der Ge-
schworenen niedergebrannt. Er war als Gegner
der Nachtreiter bekannt.
In welchem Umfange der Beschluß der
„Equity Society“, einer der erwähnten Schutz-
gesellschaften, dieses Jahr keinen Tabak anzubauen,
befolgt worden ist, zeigt eine kürzlich im „United
States Tobacco Journal“, der Zeitschrift des
Tabaktrusts, veröffentlichte Schätzung der Ernte
von Burleytabak in Kentucky und den angrenzenden
Bezirken der Nachbarstaaten. Danach beträgt die
Ernte nur etwa 20 Millionen Pfund gegen
176 Millionen im Vorjahre.
Das Bedürfnis nach festerem Zusammenschluß
der verschiedenen Schutzvereinigungen hat vor
einigen Wochen zu einer aus Abgeordneten der
Tabakbauern von Kentucky, Tennessee, Ohio, Indiana
Westvirginia und Wisconsin bestehenden Versamm-
lung in Bowling Green, Kentucky, geführt. Dort
wurde unter dem Vorsitz eines Vorstandsbeamten
der „Society of Equity“ die Gründung einer
neuen, als Zentralverein gedachten Gesellschaft,
der „Union Tobacco Society“ beschlossen. Ver-
einszweck soll die „Förderung der Interessen aller
Tabakbauern in den Vereinigten Staaten“ sein.
Die Gesellschaft soll ihren Hauptsitz in Louisville,
Kentucky, erhalten. Sie soll nach dem Rechte
des Staates Kentucky als Korporation ohne
Kapital errichtet werden und nicht auf wirtschaft-
lichen Geschäftsbetrieb gerichtet sein, sich vielmehr
auf die Verbreitung von Nachrichten und die
kostenlose Vermittlung von Verkäufen beschränken.
Mit den übrigen Schutzgesellschaften soll sie Füh-
lung halten und sie unterstützen, „um angemessene
und gewinnbringende Preise zu erzielen“. Die Aus-
gaben sollen anscheinend durch Umlagen gedeckt
werden. Als Verschuldungsgrenze ist der Betrag
von 1 Million Dollar festgesetzt.
Die „American Tobacco Company“, der
Tabaktrust, beantwortet natürlich die Maßregeln
der Tabakbauern mit entsprechenden Gegenmaß-
regeln. Er hat „mit Rücksicht auf die in Kentucky
herrschende Gesetzlosigkeit“ sein Hauptgeschäft von
Lexington, Kentucky, nach Cincinnati verlegt und
eine Erklärung veröffentlicht, wonach seine beiden
großen Lagerhäuser in Lexington mit einer Auf-
nahmefähigkeit von zusammen 20 Millionen Pfund
demnächst aufgegeben werden sollen. Dadurch
würden Hunderte von Arbeitern in der genannten
Stadt brotlos werden. Ferner hat der Trust 22
seiner bisher in den verschiedenen Tabakbezirken
ständig angestellten Käufer zurückgezogen und be-
absichtigt angeblich, noch eine Reihe von weiteren
Agenturen eingehen zu lassen. Die „Society of
Equity“ erklärt allerdings öffentlich, daß ihr dieses
Vorgehen nur erwünscht sein könne, da ihr da-
durch freies Spiel gelassen werde.
Welche der beiden Parteien aus dem erbitterten
Kampfe schließlich als Siegerin hervorgehen wird,
läßt sich nicht voraussagen. Immerhin ist nicht
zu verkennen, daß die Tabakbauern, wenn auch
unter erheblichen Opfern, bereits Erfolge errungen
haben.
(Ans einem Bericht des Kaiserl. Konsulat in
Cincinnati vom 15. Oktober 8.)
Vermischtes.
* Die missionsärztliche Tätigheit
hat in letzter Zeit einen erfreulichen Aufschwung
genommen. Das missionsärztliche Institut
in Tübingen ist in diesem Jahre unter Dach
gebracht worden. Dieses Institut soll einerseits
den an der Universität studierenden Medizinern,
welche Neigung zu missionsärztlicher Tätigkeit
haben,
ein Heim und Anschluß an Missionskreise
geben, anderseits sollen darin Missionare und
weibliche, für die Mission bestimmte Pflegekräfte
ihre Ausbildung erfahren.
Der Berliner Verein für ärztliche Mission
wurde im Frühjahr dieses Jahres gegründet. Er
will Mittel zur Ausbildung und Aussendung von
Missionsärzten und ärztlichem Hilfspersonal haupt-
sächlich für das Missionsgebiet der Berliner