Full text: Deutsches Kolonialblatt. XX. Jahrgang, 1909. (20)

113 20 
die manuelle Arbeit in die Hände der Eingebo- 
renen legen. 
Dies bringt mich auf die auch im südwest- 
afrikanischen Schutzgebiet überaus schwierige und 
große Vorsicht und Umsicht erfordernde Eingebo- 
renenfrage. Mit Ausnahme des Ovawmbolandes 
und des Caprivi-Zipfels gab es im Jahre 1907 
im Schutzgebiet noch nicht 60000 Eingeborene, 
je ein Drittel Männer, Weiber und Kinder, nach 
den Stämmen: Männer 4800 Herero, 4900 Berg- 
damara, 4900 Hottentotten, 4400 Buschleute, 
2000 Bastards, 1700 Ovambos, der Rest ver- 
schiedenen Stammes, zusammen 191904 Männer. 
Das ist ein sehr geringer Bestand, die böse Folge 
einer der Eigenart des Landes vielfach nicht an- 
gepaßt gewesenen Kriegführung. Von diesen 
Eingeborenen sitzen zudem noch mindestens ein 
Drittel als Diener, Gesinde, Truppen und Gou- 
vernementsangehörige bei den großen Städten. 
Es ist ohne weiteres einzusehen, daß eine 
solche Bevölkerung zur Leistung der körperlichen 
Arbeit in einem Gebiet von der Größe des 
Deutschen Reiches ungewöhnlich knapp ist, be- 
sonders da ja die Mischlinge und ein Teil der 
Nama, speziell die Bersebaleute, heute noch 
in gewissen staatlichen Gemeinschaften unter sich 
sind. Abgesehen von diesen gibt es nur sehr 
wenige selbständige Eingeborene, die anderen be- 
finden sich bei den Minen und auf den Farmen. 
Ihre Situation ist nicht günstig. Der Krieg hat 
sie ihrer gewohnten Lebensart entrissen, ihre 
Stämme zerschlagen, ihre Obrigkeit vernichtet, ihr 
Besitztum zerstört, ihnen ihre gewohnte Nahrung 
entzogen, zugleich aber auch eine große Ver- 
seuchung mit Geschlechtskrankheiten herbeigeführt, 
alles Dinge, die einer Vermehrung und einem 
Wiederaufkommen im Wege stehen. Ihren alten 
Institutionen, unter denen sie gelebt haben, find 
gleichwertige neue nicht an die Stelle gesetzt. 
Die Unmöglichkeit, wieder zu eigenem Besitz und 
damit zu größerer Selbstbestimmung zu kommen, 
hat über die Leute eine tiefe Depression gebracht, 
die nch im Süden zu einer direkt feindseligen 
Haltung verstärkt. An regelmäßige Arbeit nicht 
gewöhnt, teilweise entkräftet, ist ihre Verdienst- 
möglichkeit keine große, und die Farmerbevölke-- 
rung auch nicht in der Lage, besonders erhebliche 
Löhne zu zahlen. Da selbstverständlich nur der 
leistende Mann Lohn bekommt und sein Verdienst 
zum Unterhalt seiner gesamten Familie ausreichen 
muß, bedeutet jedes neu geborene Kind einen 
nicht erwünschten Zuwachs, ein neues hungriges 
Maul in der Familie. Dabei ziehen die zahl- 
reichen Minenbetriebe Südafrikas, wo sich einzelne 
Häuptlinge aufhalten, beständig noch Menschen aus 
dem Lande. Anderseits ist bei der weißen Be- 
völkerung stellenweise schon ein erheblicher Ar- 
  
beitermangel eingetreten. Je mehr die Besiedlung 
zunimmt, desto intensiver wird dieser Mangel; die 
größten Klagen habe ich im Bezirk Maltahöhe 
gehört. Geschieht auch seitens des Gouvernements, 
seitens der Missionen und seitens vieler Farmer 
mancherlei, um die unerquickliche Lage zu ver- 
bessern, so ist der Zustand doch ein trauriger. 
Fruchtabtreibungen kommen häufig vor. Der 
Mangel an weißen Frauen nötigt besonders. 
die in den Minen beschäftigte Bevölkerung zum 
Zusammen-Haushalten und -Leben mit schwarzen 
Frauen. Die unerfreuliche Folge ist eine große 
Anzahl — man spricht von etwa 1000 — 
Bastardkinder, deren Eindruck ein direkt schmerz- 
licher ist. Es liegt deshalb im eigensten Interesse 
des Schutzgebietes, ungesäumt an die Hebung 
der eingeborenen Bevölkerung zu gehen und da- 
für weder Mittel noch Anstrengungen zu sparen. 
Anderseits ist die wirtschaftliche Lage sehr vieler 
Ansiedler für eine Reihe von Jahren noch eine 
derartig prekäre, daß irgendwelche Maßnahmen, 
welche mit rauher Hand in das Arbeits= und 
Beiwohnerverhältnis eingreifen würden, ein im 
Interesse des Schutzgebietes sehr gefährliches 
Experiment darstellen würden. Während das 
Arbeiterbedürfnis in Ostafrika durch sachkundige 
Maßnahmen, gute Behandlung, ausreichende Kost 
und verständige Anwerbungen leicht hat be- 
friedigt werden können, liegen in Südwestafrika 
die Verhältnisse so, daß von allen Seiten große 
Vorsicht geboten ist. 
Zur Regelung der Verhältnisse zwischen 
Schwarz und Weiß sind Mitte des Jahres 1907 
Eingeborenen-Verordnungen eingeführt worden, 
welche ebenso den Schutz der Arbeiter, wie 
die Sicherung des Arbeitsverhältnisses beabsichtigen. 
Nach dem Geschilderten kann eine Umstoßung 
dieser Verordnungen nicht in Frage kommen. 
Aber manche Härten sind bereits jetzt, zum großen 
Teil im Einverständnis mit der weißen Be- 
völkerung, in der Beseitigung begriffen. Die 
Eingeborenen werden über ihre Rechte aus diesen 
Verordnungen belehrt. Der in dem übrigen 
Südafrika, besonders in Rhodesien durchaus ein- 
wandfrei funktionierende Paßzwang gibt zu 
keinen größeren Bedenken Veranlassung. Das 
Halten von Großvieh, welches bisher an die 
Genehmigung des Gouverneurs geknüpft war, 
ist bisher in jedem einzelnen Falle gestattet 
worden. Das liegt im eigenen Interesse der 
Farmer, erstens weil der Eingeborene an den 
Milchgenuß gewöhnt ist und aus demselben seine 
beste Kraft zieht, und zweitens weil überall, wo die 
Eingeborenen Milch von eigenen Kühen bekommen 
können, die Naturalration sich entsprechend billiger 
gestaltet. 
Die Kontrollbefugnis wird beschränkt auf das
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.