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des Südens erstarkt und damit die Kontrolle
der Eingeborenen. Aber immerhin ist große
Borsicht geboten, und die jetzt im Schutzgebiet
anwesenden 2500 Mann, von denen die Mehr-
zahl auf den Süden kommt, fsind für den Schutz
eines Gebietes von der Größe von Deutschland
gewiß keine große Anzahl. Einer weiteren Reduk-
tion würde demnach nicht zugestimmt werden
können. Anderseits ist — unter Berücksichtigung
der dünnen Besiedlung und der großen Anzahl
der waffenfähigen Weißen im Schutzgebiet — meine
Ansicht wohl auch nicht unbegründet, daß weiter-
hin doch noch eine erhebliche Truppenverminde-
rung möglich sein wird, sobald erst die immer
noch nicht beendete Übergangszeit abgeschlossen
werden kann. Wenn man bedenkt, daß einschließ-
lich der Schutztruppe und der Polizei im Schutz-
gebiet heute 5309 wehrpflichtige und sonst noch
5512 waffenfähige Weiße, insgesamt 10 821
waffenfähige weiße Männer vorhanden sind,
denen insgesamt, abgesehen von den Ovambos,
nur 20 000 zum größten Teil waffenlose ein-
geborene Männer gegenüberstehen, abzüglich der
Rehobother Bastards sogar ungefähr nur noch
19 000, so daß auf zwei nicht bewaffnete ein-
geborene Männer (ausschließlich der Opambo) ein
waffenfähiger Weißer und einschließlich der Ovambo
auf drei eingeborene Männer ein waffenfähiger
Weißer kommt, dann wird man mit Fug und Recht
behaupten dürfen, daß dieser Zustand ein normaler
nicht ist und daß eine erhebliche Verbesserung mit
der Zeit eintreten muß.
Seinerzeit wurde eine Polizeitruppe von 750
Polizisten zur Entlastung der Truppenmacht ein-
geführt. Bisher find noch nicht 600 Leute ein-
gestellt. Um die Differenz ist also die Schutz-
macht geringer, als allgemein angenommen wird.
Diese Polizeitruppe ist aber für Schutz= und
Expeditionszwecke nicht verfügbar. Ich komme
hiermit auf eine andere, nicht erfreuliche Seite
des südwestafrikanischen Lebens. Ich meine die
übermäßige Beschäftigung der Gerichte infolge
von Prozeßsucht und leichtfertigem Kreditgeben.
Im Jahre 1907 waren, abgesehen von 305
beim Obergericht anhängigen Sachen, im Be-
zirk Windhuk anhängig 8718 Gerichtssachen, im
Bezirk Swakopmund 6842 und 259 seemanns-
amtliche Handlungen, im Bezirk Keetmanshoop
2692, im Bezirk Lüderitzbucht 4141, zusammen
22752 Gerichtssachen, d. h. auf Mann, Weib
und Kind des Schutzgebietes mindestens vier
Gerichtssachen in einem Jahr. Eingeführt sind
das Konsulargerichtsbarkeitsgesetz und die deut-
schen Rechtsnormen. Die Konsequenz ist, daß
unzählige gerichtliche Zustellungen in Klagen, in
Zeugenladungen, in Urteilen, in Ladungen, in
Pfändungen, in Vollstreckungen, welche die Zahl
der Prozesse ja noch bei weitem übersteigen, not-
wendig sind. Nun besorgt im Schutzgebiet die
Post keine Zustellungen, d. h. alles muß durch
die Verwaltungsbehörde zugestellt werden. Was
das heißt bei einer beständig fluktuierenden Be-
völkerung, einem fortschreitenden Bahnbau, einer
großen Anzahl von Menschen, welche ihrem Er-
werb als Frachtfahrer nachgehen, bei zwei Küsten-
plätzen mit beständig wechselnden Personen, kann
man sich ohne weiteres vorstellen. Die Gerichts-
kosten sind ja letzthin höher normiert worden, er-
reichen aber immer noch lange nicht die wirklichen
Kosten. Ein Polizist kostet dem Fiskus per . Ar-
beitstag mindestens 20 .. Die Entfernungen
find enorm. Eine Farm von 20 000 ha im
Süden hat eine Seitenlänge von 14 km = zwei
deutschen Meilen. 1500 Zustellungen in einem
Monat bei einem Bezirksamt sind nicht selten.
Viele sind fruchtlos. Ritte von Hunderten von Kilo-
metern in einer Bagatellsache können vorkommen.
So ist die Polizei gänzlich mit diesem Dienst
und den dabei notwendigen Ausfertigungen im
Bureau beschäftigt. Hierin muß ein Wandel
herbeigeführt werden. Es ist ja anzunehmen,
daß viele von diesen Sachen noch aus Kriegs-
zeiten stammen, aber die ganze Gerichtsverfassung
paßt nicht für ein in der Entwicklung be-
findliches weißes Land. Ein vereinfachtes Ver-
fahren in Bagatellsachen, die Zustellung durch
besondere Gerichtsbeamte, welche von den Par-
teien nach den Kosten bezahlt werden, ist ebenso
notwendig wie der Aufbau einer höheren Instanz
in der Heimat. Diese sehr umfängliche Arbeit,
bei der die englischen Erfahrungen heranznziehen
sein werden, wird längere Zeit in Anspruch
nehmen und dem ohnehin durch die Verordnungs-
materie für sechs Schutzgebiete überlasteten Rechts-
referat des Kolonialamts eine neue schwere Ar-
beit aufbürden. Ich versage mir ein weiteres
Eingehen auf diese Angelegenheit; sie bildet nur
ein Streiflicht auf Zustände, die vom Normalen
noch ungemein weit entfernt sind. Wer sich über
die Gerichtsangelegenheit mehr informieren will,
möge das „Deutsche Kolonialblatt“ vom 15. De-
zember 1908 aufschlagen, wo die Einzelheiten
dieser Prozesse nach Klassen aufgeführt sind. Diese
Aufzählung zeigt deutlicher wie irgend etwas
anderes, daß das Schutzgebiet sich wirtschaftlich
in einer prekären Lage befindet. Man kann aber
sagen, daß diese Krisis vielleicht doch leichter vor-
übergehen wird, als man angenommen hat. Die
Überzeugung bei den Kreditgebern, daß das
Land gut und entwicklungsfähig ist, daß für
die gegebenen Kredite Werte ins Geld wachsen
und deshalb seinerzeit auch die Zahlung erfolgen
kann, hat dazu geführt, daß man nicht entmutigt
worden ist. Der Zustrom neuer Ansiedler mit