Full text: Deutsches Kolonialblatt. XX. Jahrgang, 1909. (20)

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des Südens erstarkt und damit die Kontrolle 
der Eingeborenen. Aber immerhin ist große 
Borsicht geboten, und die jetzt im Schutzgebiet 
anwesenden 2500 Mann, von denen die Mehr- 
zahl auf den Süden kommt, fsind für den Schutz 
eines Gebietes von der Größe von Deutschland 
gewiß keine große Anzahl. Einer weiteren Reduk- 
tion würde demnach nicht zugestimmt werden 
können. Anderseits ist — unter Berücksichtigung 
der dünnen Besiedlung und der großen Anzahl 
der waffenfähigen Weißen im Schutzgebiet — meine 
Ansicht wohl auch nicht unbegründet, daß weiter- 
hin doch noch eine erhebliche Truppenverminde- 
rung möglich sein wird, sobald erst die immer 
noch nicht beendete Übergangszeit abgeschlossen 
werden kann. Wenn man bedenkt, daß einschließ- 
lich der Schutztruppe und der Polizei im Schutz- 
gebiet heute 5309 wehrpflichtige und sonst noch 
5512 waffenfähige Weiße, insgesamt 10 821 
waffenfähige weiße Männer vorhanden sind, 
denen insgesamt, abgesehen von den Ovambos, 
nur 20 000 zum größten Teil waffenlose ein- 
geborene Männer gegenüberstehen, abzüglich der 
Rehobother Bastards sogar ungefähr nur noch 
19 000, so daß auf zwei nicht bewaffnete ein- 
geborene Männer (ausschließlich der Opambo) ein 
waffenfähiger Weißer und einschließlich der Ovambo 
auf drei eingeborene Männer ein waffenfähiger 
Weißer kommt, dann wird man mit Fug und Recht 
behaupten dürfen, daß dieser Zustand ein normaler 
nicht ist und daß eine erhebliche Verbesserung mit 
der Zeit eintreten muß. 
Seinerzeit wurde eine Polizeitruppe von 750 
Polizisten zur Entlastung der Truppenmacht ein- 
geführt. Bisher find noch nicht 600 Leute ein- 
gestellt. Um die Differenz ist also die Schutz- 
macht geringer, als allgemein angenommen wird. 
Diese Polizeitruppe ist aber für Schutz= und 
Expeditionszwecke nicht verfügbar. Ich komme 
hiermit auf eine andere, nicht erfreuliche Seite 
des südwestafrikanischen Lebens. Ich meine die 
übermäßige Beschäftigung der Gerichte infolge 
von Prozeßsucht und leichtfertigem Kreditgeben. 
Im Jahre 1907 waren, abgesehen von 305 
beim Obergericht anhängigen Sachen, im Be- 
zirk Windhuk anhängig 8718 Gerichtssachen, im 
Bezirk Swakopmund 6842 und 259 seemanns- 
amtliche Handlungen, im Bezirk Keetmanshoop 
2692, im Bezirk Lüderitzbucht 4141, zusammen 
22752 Gerichtssachen, d. h. auf Mann, Weib 
und Kind des Schutzgebietes mindestens vier 
Gerichtssachen in einem Jahr. Eingeführt sind 
das Konsulargerichtsbarkeitsgesetz und die deut- 
schen Rechtsnormen. Die Konsequenz ist, daß 
unzählige gerichtliche Zustellungen in Klagen, in 
Zeugenladungen, in Urteilen, in Ladungen, in 
Pfändungen, in Vollstreckungen, welche die Zahl 
  
der Prozesse ja noch bei weitem übersteigen, not- 
wendig sind. Nun besorgt im Schutzgebiet die 
Post keine Zustellungen, d. h. alles muß durch 
die Verwaltungsbehörde zugestellt werden. Was 
das heißt bei einer beständig fluktuierenden Be- 
völkerung, einem fortschreitenden Bahnbau, einer 
großen Anzahl von Menschen, welche ihrem Er- 
werb als Frachtfahrer nachgehen, bei zwei Küsten- 
plätzen mit beständig wechselnden Personen, kann 
man sich ohne weiteres vorstellen. Die Gerichts- 
kosten sind ja letzthin höher normiert worden, er- 
reichen aber immer noch lange nicht die wirklichen 
Kosten. Ein Polizist kostet dem Fiskus per . Ar- 
beitstag mindestens 20 .. Die Entfernungen 
find enorm. Eine Farm von 20 000 ha im 
Süden hat eine Seitenlänge von 14 km = zwei 
deutschen Meilen. 1500 Zustellungen in einem 
Monat bei einem Bezirksamt sind nicht selten. 
Viele sind fruchtlos. Ritte von Hunderten von Kilo- 
metern in einer Bagatellsache können vorkommen. 
So ist die Polizei gänzlich mit diesem Dienst 
und den dabei notwendigen Ausfertigungen im 
Bureau beschäftigt. Hierin muß ein Wandel 
herbeigeführt werden. Es ist ja anzunehmen, 
daß viele von diesen Sachen noch aus Kriegs- 
zeiten stammen, aber die ganze Gerichtsverfassung 
paßt nicht für ein in der Entwicklung be- 
findliches weißes Land. Ein vereinfachtes Ver- 
fahren in Bagatellsachen, die Zustellung durch 
besondere Gerichtsbeamte, welche von den Par- 
teien nach den Kosten bezahlt werden, ist ebenso 
notwendig wie der Aufbau einer höheren Instanz 
in der Heimat. Diese sehr umfängliche Arbeit, 
bei der die englischen Erfahrungen heranznziehen 
sein werden, wird längere Zeit in Anspruch 
nehmen und dem ohnehin durch die Verordnungs- 
materie für sechs Schutzgebiete überlasteten Rechts- 
referat des Kolonialamts eine neue schwere Ar- 
beit aufbürden. Ich versage mir ein weiteres 
Eingehen auf diese Angelegenheit; sie bildet nur 
ein Streiflicht auf Zustände, die vom Normalen 
noch ungemein weit entfernt sind. Wer sich über 
die Gerichtsangelegenheit mehr informieren will, 
möge das „Deutsche Kolonialblatt“ vom 15. De- 
zember 1908 aufschlagen, wo die Einzelheiten 
dieser Prozesse nach Klassen aufgeführt sind. Diese 
Aufzählung zeigt deutlicher wie irgend etwas 
anderes, daß das Schutzgebiet sich wirtschaftlich 
in einer prekären Lage befindet. Man kann aber 
sagen, daß diese Krisis vielleicht doch leichter vor- 
übergehen wird, als man angenommen hat. Die 
Überzeugung bei den Kreditgebern, daß das 
Land gut und entwicklungsfähig ist, daß für 
die gegebenen Kredite Werte ins Geld wachsen 
und deshalb seinerzeit auch die Zahlung erfolgen 
kann, hat dazu geführt, daß man nicht entmutigt 
worden ist. Der Zustrom neuer Ansiedler mit
	        
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