Full text: Deutsches Kolonialblatt. XX. Jahrgang, 1909. (20)

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und Westen ist wenig, der Osten und Süden mehr 
bevölkert. Abgesehen von der Bundesstadt Rio de 
Janeiro mit etwa 800 000 Einwohnern, hat der 
Staat Sao Paulo auf 290 876 qkm etwa 2600000 
Einwohner, das sind auf 1 qkm 9 Einwohner. 
Der Staat Minas-Geraes hat auf 574 855 qkm 
etwa 4 300 000 Einwohner, das sind auf 1 qkm 
7 Einwohner. Hiergegen hat der Staat Matto- 
Grosso auf 1 379 651 qkm nur 157 000 Ein- 
wohner, das ist auf 9 qkm 1 Einwohner, und der 
Staat Amazonas auf 1 897 220 qkm nur etwa 
250 000 Einwohner, das ist auf 8 qkm 1 Ein- 
wohner. 
In diesen weiten Strecken mit geringer Be- 
siedlung, ja teilweise in noch vollständiger Wildnis, 
findet man aber auch Städte mit neuzeitlichen Ein- 
richtungen, wie elektrische Straßenbahnen. So macht 
z. B. Manäos im Staate Amazonas den Eindruck 
einer europäischen Stadt, wenn man von der Tem- 
peratur und der tropischen Vegetation absieht und 
solange man sich im Weichbilde der Stadt befindet. 
Darüber hinaus ändert sich das Bild sofort; man 
befindet sich wieder in der Wildnis. Ahrlich ist es 
mit den Küstenstädten. Weiter südlich ruft z. B. 
Süö# Paulo vollständig den Eindruck einer euro- 
päischen Großstadt hervor. Die Bundesmetropole 
Rio de Janeiro zeigt, ganz abgesehen von ihrer 
wunderbaren Lage, auch Straßenbilder, z. B. die 
Avenida Central, die sie zu einer der schönsten 
Städte der Welt machen, das Straßenleben entspricht 
sowohl in bezug auf Regsamkeit, wie auf Eleganz 
dem einer modernen Weltstadt. 
Eine der großen Fragen bei der Städtebildung, 
die Wasserversorgung, ist in einzelnen brasilianischen 
Städten recht gut gelöst. Andere aber leiden unter 
unzureichendem oder schlechtem Wasser, so wird z. B. 
in der Hauptstadt des Staates Cearä das Trinkwasser 
meist in kleinen Fässern auf Lasttieren in die Stadt 
befördert und verkauft. Auch wird das Regenwasser 
in Tanks gesammelt und filtriert oder unfiltriert 
benutzt. In anderen Städten wird unfiltriertes 
Wasser von weit her geleitet und läßt an Qualität 
viel zu wünschen übrig. 
Die Republik Brasilien besteht aus 20 Bundes- 
staaten mit autonomer Regierung, dem Föderal- 
distrikt des Acre und der Bundeshauptstadt Rio 
de Janeiro. Die gesetzgebende Körperschaft der 
Republik, der Bundeskongreß, setzt sich zusammen 
aus Senat und Deputiertenkammer. Jeder Föderal- 
distrikt und Staat wählt eine bestimmte Anzahl 
Senatoren und Deputierte. Der Bundespräsident 
und Vizepräsident werden in direkter Wahl aller 
Wähler der ganzen Republik gewählt. 
In den einzelnen Staaten wird zu jeder gesetz- 
gebenden Körperschaft des Staates, dem Staats- 
kongreß, ebenfalls eine gewisse Anzahl von Sena- 
toren und Deputierten gewählt. Der Präsident des 
Staatskongresses ernennt oder entläßt die einzelnen 
  
Leiter der Verwaltungsabteilungen, die Staats- 
sekretäre, nach eigenem Ermessen. 
Die Wahl sowohl der Deputierten, wie der 
Präsidenten erfolgt bei der unvollkommenen Organi- 
sation in den weiten Gebieten auf sehr unsicherer 
Grundlage. So wurde mir z. B. berichtet, daß 
im Amazonas-Gebiet die Stimmen durch Beamte 
auf Dampfern eingeholt werden, ohne daß eine 
Kontrolle möglich wäre, ob die fraglichen Wähler 
auch existieren oder für wen die Stimmen abge- 
geben wurden. Wenn dann auffällig oft Mitglieder 
der Partei, die gerade am Ruder ist, wenn der 
seitherige Präsident, oder Familienangehörige des 
Präsidenten als Gewählte der Urne entsteigen, dann 
mag das ja mit rechten Dingen zugegangen sein. 
Anderseits kann man es Leuten, die mit den herr- 
schenden Zuständen nicht zufrieden sind, nachfühlen, 
wenn sie solche Wahlresultate manchmal verwunderlich 
finden. 
Der Staatshaushalt stützt sich auf indirekte 
Steuern, in der Hauptsache auf Import= und Ex- 
portzölle. Während die Importzölle der Bundes- 
regierung zufließen, verbleiben die Exportzölle, die 
auf Landesprodukte erhoben werden, den einzelnen 
Staaten. Daneben wurden bisher aber auch Ein- 
gangszölle von den Bundesstaaten untereinander 
erhoben; auch die einzelnen Kommunen belegten die 
verschiedenen eingeführten Waren mit Ein= und 
Ausgangszöllen. Zum Teil sind diese von den ein- 
zelnen Staaten untereinander erhobenen Eingangs- 
zölle durch Bundesbeschluß aufgehoben, teilweise be- 
stehen sie aber noch fort. Solche Zollerhebungen 
führen sogar zu Zollkriegen zwischen den Bundes- 
siaaten. Im Jahre 1907 bestand noch ein solcher 
Zollkrieg zwischen Pernambuco und Rio Grande 
do Sul. 
Die Importzölle übersteigen bei Waren aus dem 
Auslande oft weitaus den Wert der Waren selbst. 
Die Exportzölle auf Landesprodukte erreichen teil- 
weise fast ein Viertel des Wertes, so z. B. bei 
Kautschuk aus Paré. Außerdem werden von den 
einzelnen Staaten und Kommunen noch Steuern und 
Taxen der verschiedensten Art erhoben. Im Staate 
Amazonas z. B. wird die Erlaubnis zum Verkauf 
jeder einzelnen Warengattung besonders besteuert. 
und diese Steuern werden selbst von den allem 
Verkehr fernliegenden Verkaufsstätten der Serin- 
gueros gefordert. Andere Staaten erheben Abgaben 
von Pflanzungen so z. B. von Kokosnußpalmen. 
Einer Personalsteuer, die besonders geeignet ist, 
Handel und Wandel in Brasilien zu bceeinträchtigen, 
sind die Handlungsreisenden unterworfen. Die 
Staaten wie die Kommunen schätzen sie in sehr un- 
genierter Weise ein, und zwar einheimische ebensogur 
wie fremdländische. Das Drückende an dieser Steuer 
begreist man erst dann recht, wenn man sich ver- 
gegenwärtigt, daß es in dem betreffenden Staate 
oft nur einen einzigen Platz mit wenigen Kunden 
gibt, so daß die ganze Last der Steuer auf einen
	        
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