Full text: Deutsches Kolonialblatt. XX. Jahrgang, 1909. (20)

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befanden sich die meisten Stämme in einem per- 
manenten Kriegszustande, was die Zahl der Männer 
sehr dezimierte, zumal die Kriege meist bis zur 
Vernichtung der Männer des unterliegenden Stammes 
geführt wurden, während die Frauen als Kriegs- 
beute geschont und von dem Sieger dem eigenen 
Stamme eingereiht wurden. Dadurch entstand ein 
numerisches Mißverhältnis zwischen den Geschlechtern 
zunngunsten der Männer, was naturgemäß dazu 
führte, daß ein Mann mehrere Frauen nahm. 
Da diese Verhältnisse durch viele Generationen 
hindurch obwalteten, war es natürlich, daß die 
Polygamie die Grundlage der Entwicklung des 
ganzen sozialen Systems bildete und mit ihm sich 
so eng verknüpfte, daß nicht zu erwarten ist, daß 
sie aufhört, bevor nicht das System selbst ver- 
schwindet. 
Es ist jedoch eine sichere Erfahrung, daß die 
Zahl der polygamischen Ehen im Abnehmen be- 
griffen ist.!) Der Einfluß der Zivilisation und 
des Christentums, wie die Erweiterung der Lebens- 
bedürfnisse, welche die Haltung mehr als eines 
Hausstandes erschwert, und die Abnahme des Vieh- 
reichtums, der nötig war, um den Heiratspreis für 
mehrere Frauen zu bestreiten, wirken alle in dieser 
Richtung. 
Vor allem aber ist es das Anwachsen der männ- 
lichen Bevölkerung infolge dauernden Friedens, 
welches das numerische Verhältnis zwischen den Ge- 
schlechtern mehr in das Gleichgewicht bringt und 
damit bei der Abneigung der Eingeborenen gegen 
ein Leben als Junggeselle die Möglichkeit poly- 
gamischer Vereinigungen beschränkt. Solange das 
numerische Ubergewicht der Frauen aber in erheb- 
lichem Umfange besteht, muß die Polygamic als 
eine den Verhältnissen angepaßte und auch gesunde 
Einrichtung angesehen werden. Denn sic orduet die 
Beziehungen der Geschlechter zu einander und schützt 
durch die Anerkennung der Legitimität der Kinder 
aus polygamischen Ehen und Fixierung ihrer Rechte 
vor der grenzenlosen Verwirrung, welche die aus- 
schweifende Neigung der Eingeborenen andernfalls 
zur Folge haben müßte. 
Die Polygamie plößlich abschaffen, hieße also 
eine heilsame Schranke beseitigen, ohne etwas dafür 
zu schaffen, was die Zügellosigkeit der Eingeborenen 
in Grenzen hielt. 
Die Kommission warnt deshalb vor schnellen 
Eingriffen der Gesetzgebung, bevor nicht die vor- 
schreitende Zivilisation und veränderte Lebens- 
verhältnisse die Eingeborenen selbst genügend darauf 
vorbereitet haben. 
Anderseits ist aber die Majorität in der Kom- 
mission der Meinung, daß einer nach = Native Lawe 
geschlossenen Ehe nicht derselbe Status zugebilligt 
werden sollte wie einer nach Kolonialrecht ein- 
1) Dies wird auch von der Jaliv (ustoms (om- 
miseion 1883 bestätigt. Bgl. Anmertung 1 S. 29 lhe 
Natives of Spmh Africa. 
  
gegangenen Ehe. Jedoch will sie die Sukzessions-= 
rechte der Kinder aus CEhen nach „Native Law. 
anerkannt wissen. 
Die Vertreter Natals sind dagegen der Meinung, 
daß, so lange Polygamie überhaupt erlaubt oder 
wenigstens geduldet wird, die Ehe in der Form 
des Eingeborenen-Rechts in demselben Maßc wirksam 
und rechtlich bindend sein sollte, wie Ehen, die nach 
Kolonialrecht abgeschlossen sind. Diese meines Er- 
achtens nur folgerichtige Auffassung hat auch der 
Code zur Nichtung genommen. 
Die Anerkennung der Polygamie in Natal als 
einer gesetzlichen Eheform hat im Code ihren greif- 
barsten Ausdruck in der Ubernahme des Familien- 
systems, wie es sich in den Kraals der Eingeborenen 
entwickelt hat, gesunden. Diesem System ist es zu 
danken, daß die Polygamie für die Eingeborenen 
ein Element der Ordnung und nicht der Ver- 
wirrung familienrechtlicher Verhältnisse geworden ist. 
b. Das Familiensystem des Kraals. 
Die natürliche Basis dieses Systems ist die 
Polygamic. Die Zahl der Frauen ist eine sehr 
verschiedene, je nach dem Reichtum des Mannes. 
Jede Frau erhält eine besondere Hütte und meist 
auch Vermögensstücke, namentlich Vieh zur Unter- 
haltung des Hausstandes zugewiesen. Die Frau 
und ihre Familie, ihre persönliche Stellung und alle 
Eigentums= und sonstigen Rechte, deren Entstehung 
die Ehe zur Folge hat, sowie die Hütte selbst, 
werden unter dem Begriff des „Hauses“ zusammen- 
gefaßt.!) 
Der Code entrollt folgendes Bild von dem 
Familiensystem eines Kraals unter der Annahme, 
daß der Kraalvater mehr als drei Frauen hat.7) 
Ein Kraal kann aus vier Abschnitten bestehen, 
nämlich dem „Indhlunkulu“ oder Stammhause, dem 
„Qadi“-Hause (der linken Seite), dem „Kohlo-= 
Hause (der rechten Seite) )) und den Hütten der 
Außenseite ohne Familienstatus. Die Bezeichnung 
der Seite, zu der ein Haus gehört, richtet sich nach 
der Lage des betreffenden Hauses zu dem Stamm- 
hause gegenüber dem Eingangstore des Kraals- 
ringes. 
Die Frau des Stammhauses, bei den gewöhn- 
lichen Kafsern die zuerst geheiratete Fraut), hat 
den höchsten Rang, die Frauen der übrigen Häuser 
1) Code Sec. 16. Für das Vorhergebende vgl. 
lhe Jativres of Souh Atrila S. 28 f., 33: Maclean 
S. /1. 
2) Scc. 108 bid 122. Hat er weniger Frauen, so 
wird das System soweit beibehalten, als ex nach der 
Zahl der Frauen möglich ist. Bgl. Maclean S. “1. 
3) Anlage von „Kohlo“"-Hänsern findet sich in der 
Regel nur in den Kraals von Oäuptlingen oder Leuten 
von besonderer Stellung und Reichtum. Ugl. Code 
Scc. 112. 
4 Die Häuptlinge pflegen die Frau von böchstem 
Range meist erst in späteren Jahren als die eriten 
und zweiten Frauen zu nehmen. Agl. Code Scc. 123, 121.
	        
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