Full text: Deutsches Kolonialblatt. XXI. Jahrgang, 1910. (21)

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können, zur weiteren kulturellen Erschließung 
flüssig gemacht werden sollten. Naturgemäß wird 
sich hierbei das Augenmerk zunächst auf diejenigen 
Produkte richten müssen, bei denen der größte 
Bedarf in der Weltwirtschaft herrscht, weil diese 
vom Standpunkt der Kolonien aus den sichersten 
Absatz am Markte haben und vom Stande der 
heimischen Industrie aus geeignet sind, besonders 
schwer empfundene Verhältnisse zu mildern. Ich 
möchte aber hier gleich einschalten, daß ich nicht 
denke, daß die Erzeugung solcher Produkte etwa 
der Heimat allein zugute kommen oder sie, sofern 
sie nicht durch die deutsche Industrie selbst erfolgt, 
von dem Weltmarkt unabhängig machen sollte. 
Dazu würde es merkantilistischer Einrichtungen 
bedürfen, deren Freund ich nicht bin. Aber je 
mehr von einem besonders auf dem Weltmarkt 
gebrauchten Rohprodukt zur Verfügung steht, desto 
leichter kann es jeder sich beschaffen, und je ver- 
schiedener die Quellen und Produktionsgebiete sind, 
desto leichter ist es, den in der Neuzeit so beliebten, 
künstlichen, auf Monopolisierung und Preistreibereien 
gerichteten Manipulationen entgegenzutreten. 
Sie alle wissen, daß die Beschaffung der 
Textil-Rohstoffe, insbesondere der Baum- 
wolle, mit die allergrößten Schwierigkeiten 
macht, und wenn wir vielleicht auch für den 
Augenblick in einer abnormen Periode leben, so 
ist doch gerade dieser Augenblick besonders ge- 
eignet, handgreiflich darzutun, welche Zustände 
eintreten werden und müssen, wenn etwa die 
natürliche Gestaltung der Dinge dazu führt, diesen 
aus einer bemerkenswert knappen Welternte her- 
vorgegangenen Zustand zu einem dauernden zu 
machen. Diese Zustände sind ja innerhalb der 
Textilindustrie und innerhalb der kaufmännischen 
Kreise ausreichend bekannt. Es gibt kaum eine 
Branche, die nicht einen direkten Nachteil davon 
in ihren Kalkulationen empfindet, so daß ich für 
eine Zeitlang gezögert habe, ob ich so offenbare 
Mißstände überhaupt zum Gegenstand eines Vor- 
trags machen sollte. Aber ich glaube, daß gerade 
das Forum des Deutschen Handelstages, der 
berufenen und gewählten Vertretung des deutschen 
Gesamthandels, geeigneter ist als irgend ein 
anderes, um diese Erkenntnis, die wir gemeinsam 
seit langem besitzen, auch in die weiten Kreise 
hineinzuverpflanzen, denen solche Gegenstände 
ferner liegen. Dadurch, daß sachverständige Per- 
sonen, wie Sie, m. H., die die Richtigkeit meiner 
Ausführungen prüfen können, sich, wie ich hoffe, 
mir in meinen Endschlüssen anschließen werden, 
und wenn Sie dies tun, auch überall in Ihren 
einzelnen Handelskammern im Sinne dieser End- 
schlüsse wirken, glaube ich doch, daß ein erheb- 
liches Gutes erreicht werden kann. 
Wenn es vor Ihnen, m. H., auch keiner Er- 
  
läuterung bedarf, daß gegenwärtig wenigstens der 
Baumwollhandel, die Spinnerei und Weberei 
und der Vertrieb der Erzeugnisse sich in einer 
außerordentlich schwierigen Lage befinden, wird 
man doch mit großer Sorgfalt zu untersuchen 
haben, welche Ursachen hierbei im wesentlichen 
am Werke sind, und diese scheiden mühssen in 
solche, welche vorübergehender Art sind, und in 
solche, welche eine dauernde Gefahr bilden müssen. 
Wenn man es wagen soll, einer überaus kompli- 
zierten Situation einen Ausdruck in einem Satze 
zu geben, so möchte es vielleicht der sein, daß 
die Fabrikation in ihren Einrichtungen dem Be- 
darf der Welt an Waren vorausgeeilt und die 
Rohstoffversorgung hinter diesem Bedarf zurück- 
geblieben ist. Wenn dies richtig ist, was ich zu 
beweisen haben werde, so ist es klar, daß diese beiden 
Faktoren dahinwirken müssen, die Selbstkosten der 
Waren zu erhöhen, und damit für die Kalkulation 
und den Absatz Schwierigkeiten zu schaffen. Es ist 
klar, daß nur ein vollständig ausgenütztes ma- 
schinelles Inventar billig und zweckmäßig pro- 
duzieren kann, und daß, wenn ein Teil dieser 
Einrichtungen als tote Kapitalsaufwendungen und 
Zinslast auf dem Reste lastet, die Selbstkosten 
eine erhebliche Verteuerung erfahren. Generalien, 
Zinsen und Abschreibungen verteilen sich eben auf 
einen zu geringen Fakturwert. Ebenso wirkt aber 
die Knappheit des Rohmaterials und die daraus 
entstehenden Mehrkosten, welche gerade in diesem 
Jahre einen ganz unerhörten Umfang erreicht 
haben, auf den Preis der Ware ebenso wie auf 
den Absatz und machen die Überproduktion an 
Spindeln nur um so fühlbarer. Die Folge müßte 
sein beides, eine Reduktion am Unternehmerge- 
winn und ein Abzug am Arbeitslohn. 
Nun, m. H.! Die Weltspindelzahl hat sich in 
den letzten acht Jahren in einem Umfang erhöht, 
wie er nach den bisherigen Erfahrungen nicht 
hätte eintreten dürfen. In den Vereinigten 
Staaten, welche die prozentual größten Fort- 
schritte gemacht haben, stellt sich die Zahl wie 
folgt: 1900: 19 472 000, 1909: 28 018.000, in 
England: 1900: 45500 000, 1909: 53 312,000, 
in Deutschland: 1900: 8000 000, 1909: 
10 163 000. Dazu tritt in allen anderen Ländern, 
besonders in den neueren Industriegebieten, wie 
in Italien, Indien, China und Japan insgesamt 
ein Zuwachs von 9 195 000 Spindeln. Hat man 
früher angenommen, daß eine Vermehrung der 
Spindelzahl um ½ v. H. im Jahr dem wachsen- 
den Bedarf genüge, so ist, wie Sie sehen, man 
weit über dieses Maß hinausgegangen. Aber es 
ist ebenso klar, daß dieser ungünstige Faktor in 
absehbarer Zeit überwunden werden wird. Es 
bedarf dazu nur einer verständigen Selbstbeschrän- 
kung der einzelnen und einer, ja bisher nicht
	        
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