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können, zur weiteren kulturellen Erschließung
flüssig gemacht werden sollten. Naturgemäß wird
sich hierbei das Augenmerk zunächst auf diejenigen
Produkte richten müssen, bei denen der größte
Bedarf in der Weltwirtschaft herrscht, weil diese
vom Standpunkt der Kolonien aus den sichersten
Absatz am Markte haben und vom Stande der
heimischen Industrie aus geeignet sind, besonders
schwer empfundene Verhältnisse zu mildern. Ich
möchte aber hier gleich einschalten, daß ich nicht
denke, daß die Erzeugung solcher Produkte etwa
der Heimat allein zugute kommen oder sie, sofern
sie nicht durch die deutsche Industrie selbst erfolgt,
von dem Weltmarkt unabhängig machen sollte.
Dazu würde es merkantilistischer Einrichtungen
bedürfen, deren Freund ich nicht bin. Aber je
mehr von einem besonders auf dem Weltmarkt
gebrauchten Rohprodukt zur Verfügung steht, desto
leichter kann es jeder sich beschaffen, und je ver-
schiedener die Quellen und Produktionsgebiete sind,
desto leichter ist es, den in der Neuzeit so beliebten,
künstlichen, auf Monopolisierung und Preistreibereien
gerichteten Manipulationen entgegenzutreten.
Sie alle wissen, daß die Beschaffung der
Textil-Rohstoffe, insbesondere der Baum-
wolle, mit die allergrößten Schwierigkeiten
macht, und wenn wir vielleicht auch für den
Augenblick in einer abnormen Periode leben, so
ist doch gerade dieser Augenblick besonders ge-
eignet, handgreiflich darzutun, welche Zustände
eintreten werden und müssen, wenn etwa die
natürliche Gestaltung der Dinge dazu führt, diesen
aus einer bemerkenswert knappen Welternte her-
vorgegangenen Zustand zu einem dauernden zu
machen. Diese Zustände sind ja innerhalb der
Textilindustrie und innerhalb der kaufmännischen
Kreise ausreichend bekannt. Es gibt kaum eine
Branche, die nicht einen direkten Nachteil davon
in ihren Kalkulationen empfindet, so daß ich für
eine Zeitlang gezögert habe, ob ich so offenbare
Mißstände überhaupt zum Gegenstand eines Vor-
trags machen sollte. Aber ich glaube, daß gerade
das Forum des Deutschen Handelstages, der
berufenen und gewählten Vertretung des deutschen
Gesamthandels, geeigneter ist als irgend ein
anderes, um diese Erkenntnis, die wir gemeinsam
seit langem besitzen, auch in die weiten Kreise
hineinzuverpflanzen, denen solche Gegenstände
ferner liegen. Dadurch, daß sachverständige Per-
sonen, wie Sie, m. H., die die Richtigkeit meiner
Ausführungen prüfen können, sich, wie ich hoffe,
mir in meinen Endschlüssen anschließen werden,
und wenn Sie dies tun, auch überall in Ihren
einzelnen Handelskammern im Sinne dieser End-
schlüsse wirken, glaube ich doch, daß ein erheb-
liches Gutes erreicht werden kann.
Wenn es vor Ihnen, m. H., auch keiner Er-
läuterung bedarf, daß gegenwärtig wenigstens der
Baumwollhandel, die Spinnerei und Weberei
und der Vertrieb der Erzeugnisse sich in einer
außerordentlich schwierigen Lage befinden, wird
man doch mit großer Sorgfalt zu untersuchen
haben, welche Ursachen hierbei im wesentlichen
am Werke sind, und diese scheiden mühssen in
solche, welche vorübergehender Art sind, und in
solche, welche eine dauernde Gefahr bilden müssen.
Wenn man es wagen soll, einer überaus kompli-
zierten Situation einen Ausdruck in einem Satze
zu geben, so möchte es vielleicht der sein, daß
die Fabrikation in ihren Einrichtungen dem Be-
darf der Welt an Waren vorausgeeilt und die
Rohstoffversorgung hinter diesem Bedarf zurück-
geblieben ist. Wenn dies richtig ist, was ich zu
beweisen haben werde, so ist es klar, daß diese beiden
Faktoren dahinwirken müssen, die Selbstkosten der
Waren zu erhöhen, und damit für die Kalkulation
und den Absatz Schwierigkeiten zu schaffen. Es ist
klar, daß nur ein vollständig ausgenütztes ma-
schinelles Inventar billig und zweckmäßig pro-
duzieren kann, und daß, wenn ein Teil dieser
Einrichtungen als tote Kapitalsaufwendungen und
Zinslast auf dem Reste lastet, die Selbstkosten
eine erhebliche Verteuerung erfahren. Generalien,
Zinsen und Abschreibungen verteilen sich eben auf
einen zu geringen Fakturwert. Ebenso wirkt aber
die Knappheit des Rohmaterials und die daraus
entstehenden Mehrkosten, welche gerade in diesem
Jahre einen ganz unerhörten Umfang erreicht
haben, auf den Preis der Ware ebenso wie auf
den Absatz und machen die Überproduktion an
Spindeln nur um so fühlbarer. Die Folge müßte
sein beides, eine Reduktion am Unternehmerge-
winn und ein Abzug am Arbeitslohn.
Nun, m. H.! Die Weltspindelzahl hat sich in
den letzten acht Jahren in einem Umfang erhöht,
wie er nach den bisherigen Erfahrungen nicht
hätte eintreten dürfen. In den Vereinigten
Staaten, welche die prozentual größten Fort-
schritte gemacht haben, stellt sich die Zahl wie
folgt: 1900: 19 472 000, 1909: 28 018.000, in
England: 1900: 45500 000, 1909: 53 312,000,
in Deutschland: 1900: 8000 000, 1909:
10 163 000. Dazu tritt in allen anderen Ländern,
besonders in den neueren Industriegebieten, wie
in Italien, Indien, China und Japan insgesamt
ein Zuwachs von 9 195 000 Spindeln. Hat man
früher angenommen, daß eine Vermehrung der
Spindelzahl um ½ v. H. im Jahr dem wachsen-
den Bedarf genüge, so ist, wie Sie sehen, man
weit über dieses Maß hinausgegangen. Aber es
ist ebenso klar, daß dieser ungünstige Faktor in
absehbarer Zeit überwunden werden wird. Es
bedarf dazu nur einer verständigen Selbstbeschrän-
kung der einzelnen und einer, ja bisher nicht