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dukrionsart und ihren Umfang aufzufrischen. Ich
mache diese Bemerkung, um dem Einwand zu
begegnen, daß man bei einer kurzen dreiwöchi-
gen Anwesenheit einem fremden Gegenstand von
so außerordentlicher Wichtigkeit schwerlich mit der
notwendigen Gründlichkeit nahe kommen kann.
Für die verschiedenen Baumwollproduktions=
gebiete beginnen sich jetzt bereits Konsumtions-
zentren zu bilden, welche, wenn auch von dem
Weltmarkt und seiner Preisgestaltung nicht un-
abhängig, die Baumwolle sozusagen loco, d. h.
ohne daß sie tatsächlich den großen Markt be-
rührt, verbrauchen. Der Konsumtionskreis
neuesten Datums ist der ostafiatisch z indische, in
dem Japan sowohl aus China als aus Indien
direkte Rohstoffbezüge vornimmt, um seine eigene
geringe Produktion zu ergänzen. Ein anderer Kreis
ist der russische, welcher die turkestanisch-kaukasische,
persische und kleinasiatische Baumwolle an sich
heranzieht, zur Ergänzung seines amerikanischen,
allerdings zollbelasteten Imports. Der dritte und
gewaltigste Kreis sind die Vereinigten Staaten
selbst, welche bei etwa 29 Millionen Spindeln
eine Konsumkraft von bis 5½ Millionen Ballen
besitzen. Die Transport= und Spesenverhältnisse,
auch die lokale Zugehörigkeit bringen es hierbei
mit sich, daß die Neigung besteht, sich zunächst
gewissermaßen binnenwirtschaftlich zu versorgen.
Daß der amerikanische Garn= und Gewebemarkt
dabei durchaus unabhängig und konkurrenzfähig
bleibt, zeigen z. B. die Ziffern des Jahres 1909,
welche nach Abzug der Importen in hochver-
edelten Baumwollefabrikaten, nämlich Spitzen,
Gardinen usw., einen Exportüberschuß von etwa
4 Millionen Dollar in Fertigware zeigen, ferner
aber auch den Beweis liefern, daß die amerika-
nische Baumwollwarenproduktion vollständig im
eigenen Lande untergebracht wurde.
Daraus würde sich der Schluß ziehen lassen,
daß für die Versorgung Europas nur dasjenige
Quantum in Frage kommen könnte, welches nach
Abzug der eigenen Konsumtion der Vereinigten
Staaten übrig bleibt. Ahnlich liegt es mit In-
dien, wo etwa 60 v. H. der eigenen Produktion
versponnen wird, also nur höchstens 1½ Mil-
lionen Ballen zum Export gelangen. Da Ruß-
land trotz eigener Produktion noch importiert,
Agypten ausscheidet, und die anderen Länder
nicht wesentlich in Frage kommen können, so
bleiben für die Versorgung des europäischen Kon-
tinents an Rohbaumwolle lediglich der Überschuß
der Baumwolle aus den Vereinigten Staaten und
Indien. Das indische Areal für Baumwolle
nimmt nur langsam zu. Die englische Regierung
macht allerdings große Anstrengungen durch Be-
wässerung und durch andere Methoden, eine inten-
fivere Bewirtschaftung zustande zu bringen. Um
auf die Dauer, denn die letzte Ernte war
ganz besonders durch Umstände begünstigt, sehr
viel größere Quanten zu schaffen, würde es einer
ganz außerordentlichen weiteren Ausdehnung des
Baumwollbodens bedürfen, wobei außerdem noch
zu bemerken ist, daß gerade Indien eine starke
Steigerung seines eigenen Konsums infolge einer
ungeheueren und im wesentlichen in Baumwolle
gekleideten Bevölkerung hat. Hat doch Ostindien
trotz der großen eigenen Fabrikindustrie immer
noch eine Einfuhr von Baumwollwaren im Be-
trage von 32 Millionen Pfd. Sterl. Das durch-
schnittliche Reinerträgnis von Baumwolle per
Hektar ist in Indien nur 200 Pfund, in den Ver-
einigten Staaten 475 Pfund und in Agypten
(ausschließlich bewässertes Land) 900 Pfund. Der
Schlüssel der Situation liegt also für den
europäischen Spinner und Arbeiter in der
Beurteilung der Lage in den Bereinigten
Staaten.
In den Vereinigten Staaten ist die Spindel-
zahl gestiegen in den letzten 6 Jahren von 22
auf 29 Millionen Spindeln, d. h. um ein volles
Drittel. Demgemäß ist auch der Konsum, der im
Jahre 1900 noch 3 870 000 Ballen war, auf
5 200 000 Ballen rund gestiegen, würde also bei
gleich intensiver Arbeit wie im Jahre 1909 die
halbe Baumwollernte jenes Jahres für sich be-
anspruchen und der Welt die andere Hälfte von
etwa 4 900 000 Ballen überlassen.
Mit dieser Steigerung des Konsums und der
fabrikatorischen Einrichtungen würde nunmehr in
Vergleich zu setzen sein der Fortschritt, welcher in
der Rohbaumwollproduktion in den gleichen sechs
Jahren gemacht worden ist. Das ist nun des-
halb außerordentlich schwierig, weil gerade in
dieser Zeit die Ernten sehr ungleichmäßig aus-
gefallen sind und die Quanten deshalb nicht in
Vergleich mit der Spindelzahl gesetzt werden
können. Eine andere, aber für den tatsächlichen
Baumwollbau viel sicherere Nachweisung ergibt
sich jedoch aus der in Kultur genommenen Fläche.
Im Jahre 1904 waren unter Kultur 30053000
Acres (ein Acre ist — ½16 ha), 1905 26,1,
1906 31,3, 1907 31,3, 1908 32,4, 1909 31,2
Millionen Acres, und dieses auf Grund der
Theorie, daß ein höherer Preis einer in Quantität
größeren Ernte vorzuziehen sei, d.h. in sechs Jahren
ist das Areal um nicht mehr als 1,1 Millionen
Hektar gestiegen, d. i. etwa 3 v. H. gegenüber einer
Steigerung der Spindelzahl um das Zehnfache.
Dabei ist noch zu bemerken, daß die Pro-
duktion der wesentlich durch Weiße betriebenen
Farmen nicht größer im Durchschnitt gewesen ist,
als die der durch Schwarze betriebenen Farmen,
vermutlich eine Folge der verschiedenen Boden-
qualität und der im Westen eingetretenen Schädi-