Full text: Deutsches Kolonialblatt. XXI. Jahrgang, 1910. (21)

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dukrionsart und ihren Umfang aufzufrischen. Ich 
mache diese Bemerkung, um dem Einwand zu 
begegnen, daß man bei einer kurzen dreiwöchi- 
gen Anwesenheit einem fremden Gegenstand von 
so außerordentlicher Wichtigkeit schwerlich mit der 
notwendigen Gründlichkeit nahe kommen kann. 
Für die verschiedenen Baumwollproduktions= 
gebiete beginnen sich jetzt bereits Konsumtions- 
zentren zu bilden, welche, wenn auch von dem 
Weltmarkt und seiner Preisgestaltung nicht un- 
abhängig, die Baumwolle sozusagen loco, d. h. 
ohne daß sie tatsächlich den großen Markt be- 
rührt, verbrauchen. Der Konsumtionskreis 
neuesten Datums ist der ostafiatisch z indische, in 
dem Japan sowohl aus China als aus Indien 
direkte Rohstoffbezüge vornimmt, um seine eigene 
geringe Produktion zu ergänzen. Ein anderer Kreis 
ist der russische, welcher die turkestanisch-kaukasische, 
persische und kleinasiatische Baumwolle an sich 
heranzieht, zur Ergänzung seines amerikanischen, 
allerdings zollbelasteten Imports. Der dritte und 
gewaltigste Kreis sind die Vereinigten Staaten 
selbst, welche bei etwa 29 Millionen Spindeln 
eine Konsumkraft von bis 5½ Millionen Ballen 
besitzen. Die Transport= und Spesenverhältnisse, 
auch die lokale Zugehörigkeit bringen es hierbei 
mit sich, daß die Neigung besteht, sich zunächst 
gewissermaßen binnenwirtschaftlich zu versorgen. 
Daß der amerikanische Garn= und Gewebemarkt 
dabei durchaus unabhängig und konkurrenzfähig 
bleibt, zeigen z. B. die Ziffern des Jahres 1909, 
welche nach Abzug der Importen in hochver- 
edelten Baumwollefabrikaten, nämlich Spitzen, 
Gardinen usw., einen Exportüberschuß von etwa 
4 Millionen Dollar in Fertigware zeigen, ferner 
aber auch den Beweis liefern, daß die amerika- 
nische Baumwollwarenproduktion vollständig im 
eigenen Lande untergebracht wurde. 
Daraus würde sich der Schluß ziehen lassen, 
daß für die Versorgung Europas nur dasjenige 
Quantum in Frage kommen könnte, welches nach 
Abzug der eigenen Konsumtion der Vereinigten 
Staaten übrig bleibt. Ahnlich liegt es mit In- 
dien, wo etwa 60 v. H. der eigenen Produktion 
versponnen wird, also nur höchstens 1½ Mil- 
lionen Ballen zum Export gelangen. Da Ruß- 
land trotz eigener Produktion noch importiert, 
Agypten ausscheidet, und die anderen Länder 
nicht wesentlich in Frage kommen können, so 
bleiben für die Versorgung des europäischen Kon- 
tinents an Rohbaumwolle lediglich der Überschuß 
der Baumwolle aus den Vereinigten Staaten und 
Indien. Das indische Areal für Baumwolle 
nimmt nur langsam zu. Die englische Regierung 
macht allerdings große Anstrengungen durch Be- 
wässerung und durch andere Methoden, eine inten- 
fivere Bewirtschaftung zustande zu bringen. Um 
  
auf die Dauer, denn die letzte Ernte war 
ganz besonders durch Umstände begünstigt, sehr 
viel größere Quanten zu schaffen, würde es einer 
ganz außerordentlichen weiteren Ausdehnung des 
Baumwollbodens bedürfen, wobei außerdem noch 
zu bemerken ist, daß gerade Indien eine starke 
Steigerung seines eigenen Konsums infolge einer 
ungeheueren und im wesentlichen in Baumwolle 
gekleideten Bevölkerung hat. Hat doch Ostindien 
trotz der großen eigenen Fabrikindustrie immer 
noch eine Einfuhr von Baumwollwaren im Be- 
trage von 32 Millionen Pfd. Sterl. Das durch- 
schnittliche Reinerträgnis von Baumwolle per 
Hektar ist in Indien nur 200 Pfund, in den Ver- 
einigten Staaten 475 Pfund und in Agypten 
(ausschließlich bewässertes Land) 900 Pfund. Der 
Schlüssel der Situation liegt also für den 
europäischen Spinner und Arbeiter in der 
Beurteilung der Lage in den Bereinigten 
Staaten. 
In den Vereinigten Staaten ist die Spindel- 
zahl gestiegen in den letzten 6 Jahren von 22 
auf 29 Millionen Spindeln, d. h. um ein volles 
Drittel. Demgemäß ist auch der Konsum, der im 
Jahre 1900 noch 3 870 000 Ballen war, auf 
5 200 000 Ballen rund gestiegen, würde also bei 
gleich intensiver Arbeit wie im Jahre 1909 die 
halbe Baumwollernte jenes Jahres für sich be- 
anspruchen und der Welt die andere Hälfte von 
etwa 4 900 000 Ballen überlassen. 
Mit dieser Steigerung des Konsums und der 
fabrikatorischen Einrichtungen würde nunmehr in 
Vergleich zu setzen sein der Fortschritt, welcher in 
der Rohbaumwollproduktion in den gleichen sechs 
Jahren gemacht worden ist. Das ist nun des- 
halb außerordentlich schwierig, weil gerade in 
dieser Zeit die Ernten sehr ungleichmäßig aus- 
gefallen sind und die Quanten deshalb nicht in 
Vergleich mit der Spindelzahl gesetzt werden 
können. Eine andere, aber für den tatsächlichen 
Baumwollbau viel sicherere Nachweisung ergibt 
sich jedoch aus der in Kultur genommenen Fläche. 
Im Jahre 1904 waren unter Kultur 30053000 
Acres (ein Acre ist — ½16 ha), 1905 26,1, 
1906 31,3, 1907 31,3, 1908 32,4, 1909 31,2 
Millionen Acres, und dieses auf Grund der 
Theorie, daß ein höherer Preis einer in Quantität 
größeren Ernte vorzuziehen sei, d.h. in sechs Jahren 
ist das Areal um nicht mehr als 1,1 Millionen 
Hektar gestiegen, d. i. etwa 3 v. H. gegenüber einer 
Steigerung der Spindelzahl um das Zehnfache. 
Dabei ist noch zu bemerken, daß die Pro- 
duktion der wesentlich durch Weiße betriebenen 
Farmen nicht größer im Durchschnitt gewesen ist, 
als die der durch Schwarze betriebenen Farmen, 
vermutlich eine Folge der verschiedenen Boden- 
qualität und der im Westen eingetretenen Schädi-
	        
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