Full text: Deutsches Kolonialblatt. XXI. Jahrgang, 1910. (21)

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Unter allen Seuchen, die unsere Schutzgebiete 
im tropischen Afrika heimsuchen, find es die 
Pocken, welche sich am schnellsten durch die ein- 
jache Methode der Schutzimpfung zurückdrängen 
lassen. Den Anteil, den sie an der Sterblichkeit 
haben, ganz auszuschalten, liegt nach dem Vor- 
bilde der Kulturstaaten im Bereiche der Mög- 
lichkeit. 
Die Aufgabe, die hiermit der Medizinalver- 
waltung des deutsch-ostafrikanischen Schutzgebietes 
gestellt wird, ist die systematische Durchimpfung 
der gesamten Bevölkerung, und zwar mit 
Rücksicht auf die erfahrungsmäßige Kurzzfristigkeit 
der Immunität der Neger sowohl nach erfolgreicher 
Vaccination als auch nach überstandener Variola 
— zunächst mehrmals und späterhin eine regel- 
mäßige Impfung aller Säuglinge und mindestens 
zweimalige Wiederimpfung der Halberwachsenen, 
endlich eine Impfung aller Einwanderer und 
Durchreisenden. 
Diesem Ideal, das freilich erst nach langjäh- 
riger Arbeit zu erreichen sein wird, ist in den 
letzten vier Jahren dadurch zugestrebt worden, 
daß in fast allen Bezirken des Schutzgebietes ein 
regelmäßiges Impfgeschäft eingerichtet wurde. 
Und jenes Ideal hat in den letzten beiden Jahren 
eine gewisse Aussicht auf Durchführbarkeit insofern 
gewonnen, als die Lymphbereitung im Schutz- 
gebiete selbst dauernd geglückt ist. 
Das Impfgeschäft stößt draußen auf Hinder- 
nisse, die in der Heimat nicht oder nur in ganz 
geringem Maße in Erscheinung treten. 
Es besteht — außer für die Angehörigen der 
Schutztruppe — kein Impfzwang. Selbst wenn 
er eingeführt würde, wäre doch die Verwaltung 
in den meisten Bezirken noch nicht in der Lage, 
alle Impfpflichtigen — zunächst die gesamte Be- 
völkerung, später sämtliche Säuglinge und große 
Gruppen der Halberwachsenen — zu bestimmten 
Terminen an einem Ort dem Impfarzt vorzu- 
führen. Das Impfgeschäft muß also auf Reisen 
vorgenommen werden. Das bedeutet in einem 
Lande, das größer, aber weit dünner bevölkert 
ist als Deutschland und bei der Art des Verkehrs 
mit Trägerkarawanen (soweit nicht die neuen 
Bahnen in Frage kommen) einen beträchtlichen 
Kosten= und Zeitaufwand. Eine weitere unan- 
genehme Folge davon ist, daß eine Nachschau der 
Geimpften vielfach unmöglich erscheint und daher 
die Impfresultate meist auf Schätzungen beruhen 
müssen. 
Die Bereitwilligkeit der Eingeborenen, si 
impfen zu lassen, ist in den einzelnen Bezirken 
und oft auch bei der gleichen Bevölkerungsgruppe 
zu verschiedenen Zeiten höchst wechselnd. Der 
Schutz, den die erfolgreiche Impfung bietet, ist 
  
Pocken vielfach ausgeübt; aber der gleiche Zauber- 
Aberglaube, der die Neger in einem Fall in 
Scharen dem Impfenden zuführt, treibt sie in 
einem anderen in wilde Flucht vor ihm weg, 
wenn ein unkontrollierbares Gerücht auftaucht, 
daß er sie behexen wolle. Nur geduldige Beleh- 
rung kann hierbei den Mißerfolgen, die nie ganz 
ausbleiben werden, entgegenarbeiten. 
Die größte Schwierigkeit aber bestand in 
früheren Jahren in der Versorgung der Innen- 
stationen mit wirksamer Lymphe, solange diese 
ausschließlich von außerhalb, meist aus Europa, 
bezogen werden mußte. Kam sie auch, im Kühlraum 
der Postdampfer aufbewahrt, an der Küste fast 
immer im brauchbaren Zustande an, so ging ihre 
Virulenz auf dem wochenlangen Transport ins 
Innere meistens verloren, obwohl seit Jahren 
die verschiedensten Verpackungsarten durchprobiert 
wurden. 
Lange Zeit blieb die Impfung von Arm zu 
Arm der mitgenommenen Träger usw. das einzige 
Mittel, um überhaupt Impfstoff ins Innere zu 
befördern. Nicht nur die Gefahr der Übertragung 
von Krankheitskeimen, sondern auch die schnelle 
Abnahme der Wirksamkeit der rein humanen 
Lymphe, spricht gegen diese Methode. 
Die Forderung eines Instituts für Lymph-= 
bereitung wurde schon in den ersten Jahren der 
deutschen Besitzergreifung gestellt; auf der letzten 
Tagung der Tropenmedizinischen Gesellschaft tauchte 
sie wieder auf. Abgesehen von anderen und 
nicht zum geringsten den pekuniären Schwierig- 
keiten, würde ein solches Institut bei den er- 
wähnten Verkehrsverhältnissen nicht das ganze 
Schutzgebiet, sondern nur die Bezirke in seiner 
näheren Umgebung mit Lymphe versorgen können. 
Es blieb somit als einziger Ausweg, eine dezentrali- 
sierte Lymphbereitung einzurichten. Die Vor- 
versuche erstrecken sich über rund zehn Jahre. 
Zum ersten Male war es nach den vorliegenden 
Berichten im Jahre 1899 dem damaligen Ober- 
arzt Dr. Fülleborn in Langenburg gelungen, 
Kälberlymphe herzustellen, alsdann 1902 dem 
damaligen Oberarzt Dr. Exner in Bismarck- 
burg. 1904 mehrten sich die Erfolge auf den 
verschiedenen Stationen, 1905 fiel als Aufstands- 
jahr fast völlig aus, 1906 wurde die Arbeit 
erneut erfolgreich in Angriff genommen, 1907 
konnte bereits die Hälfte aller Impfungen mit 
selbstgewonnener Lymphe ausgeführt werden, und 
seit 1908 konnte dazu übergegangen werden, 
neben der gelegentlichen Impfgewinnung nach 
den jeweiligen örtlichen Bedürfnissen an einzelnen 
Stationen eine ständige einzurichten, die regel- 
mäßig produziert. 
Zur Zeit sind Impfgeschäft und Lymph- 
meistens bekannt, wird doch die Inokulation der bereitung im Schutzgebiet folgendermaßen organi- 
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