augenblicklicher. Der Volkshygieniker kann nicht
nach Menge oder Gewicht zahlenmäßig jährlich
herausrechnen, was er wirtschaftlich erreicht hat. Er
kann nicht rechnerisch genau, wie der Kaufmann
oder der Beamte bei der Steuereintreibung oder
beim Straßenbau oder selbst wie der Arzt in der
Ausübung seiner täglichen Praxis einen in Ziffern
faßbaren Erfolg zu Papier bringen. Er kann,
wenn er mehrere tausend Menschen in der Nähe
eines Pockenherdes impfte, nicht beweisen, daß er
in diesem Jahre so und so viele Eingeborene vom
Tode gerettet und damit der Kolonie ein Wirt-
schaftskapital von bestimmter Höhe erhalten hat;
obwohl er es sicher getan hat. Er kann nicht nach-
weisen, daß er Tausende vor dem Alkoholismus
und die kommenden Geschlechter vor der Ent-
artung bewahrt hat, wenn er immer und immer
wieder darauf dringt und es endlich auch erreicht,
daß der Alkohol vom Neger ferngehalten wird.
Ja, die Tätigkeit des Eingeborenenhygienikers
kann scheinbar zunächst hemmend auf die wirt-
schaftliche Entwicklung wirken. Aber nur schein-
bar, wenn der Blick von den Nahwirkungen nicht
bis zu den Fernwirkungen reicht. Greifen wir auf
unfer Beispiel des Wege= und Bahnbaues zurück.
Der Verwaltung liegt daran, ihn möglichst schnell
zu fördern, die Kosten sollen eine gewisse Grenze
nicht übersteigen, die wirtschaftliche Erschließung
des Landes drängt. Eine möglichst große Arbeiter-
schar ist erwünscht, je größer, um so besser. Da
tritt der Hygieniker auf und bezeichnet wegen
Schwächlichkeit, ansteckender Krankheit oder aus
sonstigen Gründen einen Teil der angeworbenen
Leute als untaunglich zu schwerer Arbeit. Er weist
ferner auf die große Sterblichkeit an Dysenterie
unter den Leuten hin und verlangt Abhilfe, Rege-
lung der Verpflegung, des Trinkwassers, der
Unterkunft, der ärztlichen Behandlung. Das Werk
wird dadurch vielleicht um einige Wochen in seiner
Vollendung verzögert, die Kosten um ein Geringes
vermehrt, dafür aber ein Kapital an Negerleben
orhalten. Hier steht wirtschaftliche Forderung
gegen wirtschaftliche Forderung, aber auch Nah-
wirkung gegen Feruwirkung. Letztere, die gleich-
zeitig die wirtschaftliche Dauerwirkung in sich
schließt, hat der Volkshygieniker zu vertreten.
Besonders schwierig ist die Stellung der ärzt-
lichen Außenposten, der Neugründungen im In-
lande, von denen hoffentlich von Jahr zu Jahr
immer mehr geschaffen werden. Dort bringt der
Arzt auf einmal ganz neue Nummern in das Ver-
waltungsprogramm des Bezirkes, die diesem bis
dahin vielleicht ganz ferugelegen haben und für
die es nicht zurechtgeschnitten war. So kann es
wohl vorkommen, daß ein Argt, der sich nicht nur
um seine tägliche Praris kümmert, zunächst als
recht unbeqguem empfunden wird. Versteht er es
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nicht, seinen Plänen und Aufgaben die Sympa-=
thien der Verwaltungsbehörde zu verschaffen, so ist
der Grund zu Differenzen leicht gelegt. Ihr Ent-
stehen mag hier und da noch dadurch begünstigt
werden, daß die an sich gewiß lobenswerte Eigen-
schaft des Deutschen, gerade sein persönliches
Ressort als das bedeutungsvollste anzusehen, auf
afrikanischem Boden sich bisweilen in übermäßiger
Üppigkeit entfaltet, woraus dann die Gefahr er-
wächst, andere Aufgaben zu unterschätzen. Beim
Arzte vermag entschuldbarerweise noch leicht das
menschliche Gefühl des Mitleids für die von
Seuchen heimgesuchten Eingeborenen mitzu-
sprechen und ihn in seinen Forderungen zu be-
stärken. Jeder wird dieses Gefühl gern beim Arzte
sehen, solange es sich um die Behandlung eines
einzelnen Kranken handelt. Sofort aber ändert
sich das Bild, wenn die Volksgesundheit in Frage
steht. Derselbe Arzt, der mit Recht der stärksten
Mißbilligung begegnen würde, wenn er etwa einen
Schwerverletzten seinem Schicksal überlassen
wollte, wird gar nicht anders können, als ruhig
mit anzusehen, wie jährlich nicht einer, sondern so
und so viele dem Verderben anheimfallen, weil
unser hygienisches Können und Wollen vorläufig
nicht in Einklang zu bringen sind mit mancherlei
in unseren Kolonien unvermeidlichen Beschrän-
kungen. Es folgt daraus, daß das redliche Wollen
des Kolonialhygienikers allein nicht zu einem Er-
folge genügt. So manche rauhe Notwendigkeit
muß von ihm wohl erwogen und in Rechnung ge-
stellt werden. Geschieht das nicht, so ergeben sich
für ihn zwei gleich unerwünschte Möglichkeiten.
Entweder er gerät in Konflikte und wird dadurch
untanglich zum Kolonialdienst, oder er weicht
allen Unannehmlichkeiten, welche die Mitarbeit am
der Volkshygiene ihm möglicherweise bringen
kann, von voruherein aus und beschränkt sich auf
seine tägliche Praris unter Weißen und Schwarzen.
In beiden Fällen kommen die wirtschaftlichen For-
derungen des Landes schlecht weg. Der koloniale
Volkshygieniker darf, um vorwärts zu kommen,
nicht mit Volldampf fahren, denn er hat kein
klippenfreies Wasser. Langsame Fahrt und vor-
sichtige Steuerung. Bisweilen wird er sich wohl
sogar begnügen müssen, wenn die der Volksgesund-
heit der Eingeborenen entgegengesetzten Strö-
mungen europäischer Kultur (Alkohol, Syphilis,
erhöhte Infektionsgefahren) ihn überhaupt noch
vorwärts kommen lassen.) Das Haupthindernis
für die volle Entfaltung volkshygienischer Für-
1) Ju eingehender Weise hat der Verfasser versucht,
die durch Berührung mit dem Weißen geschaffene bis-
herige rassenhygienische Bilanz zu zieben in eine: Ab-
haudlung: Die hygienische Beeinflussung der
schwarzen Rasse durch die weiße in Toge
Archiv für Rassen- und Geiellschaftsbiologie: Dez. 1905.