Full text: Deutsches Kolonialblatt. XXI. Jahrgang, 1910. (21)

augenblicklicher. Der Volkshygieniker kann nicht 
nach Menge oder Gewicht zahlenmäßig jährlich 
herausrechnen, was er wirtschaftlich erreicht hat. Er 
kann nicht rechnerisch genau, wie der Kaufmann 
oder der Beamte bei der Steuereintreibung oder 
beim Straßenbau oder selbst wie der Arzt in der 
Ausübung seiner täglichen Praxis einen in Ziffern 
faßbaren Erfolg zu Papier bringen. Er kann, 
wenn er mehrere tausend Menschen in der Nähe 
eines Pockenherdes impfte, nicht beweisen, daß er 
in diesem Jahre so und so viele Eingeborene vom 
Tode gerettet und damit der Kolonie ein Wirt- 
schaftskapital von bestimmter Höhe erhalten hat; 
obwohl er es sicher getan hat. Er kann nicht nach- 
weisen, daß er Tausende vor dem Alkoholismus 
und die kommenden Geschlechter vor der Ent- 
artung bewahrt hat, wenn er immer und immer 
wieder darauf dringt und es endlich auch erreicht, 
daß der Alkohol vom Neger ferngehalten wird. 
Ja, die Tätigkeit des Eingeborenenhygienikers 
kann scheinbar zunächst hemmend auf die wirt- 
schaftliche Entwicklung wirken. Aber nur schein- 
bar, wenn der Blick von den Nahwirkungen nicht 
bis zu den Fernwirkungen reicht. Greifen wir auf 
unfer Beispiel des Wege= und Bahnbaues zurück. 
Der Verwaltung liegt daran, ihn möglichst schnell 
zu fördern, die Kosten sollen eine gewisse Grenze 
nicht übersteigen, die wirtschaftliche Erschließung 
des Landes drängt. Eine möglichst große Arbeiter- 
schar ist erwünscht, je größer, um so besser. Da 
tritt der Hygieniker auf und bezeichnet wegen 
Schwächlichkeit, ansteckender Krankheit oder aus 
sonstigen Gründen einen Teil der angeworbenen 
Leute als untaunglich zu schwerer Arbeit. Er weist 
ferner auf die große Sterblichkeit an Dysenterie 
unter den Leuten hin und verlangt Abhilfe, Rege- 
lung der Verpflegung, des Trinkwassers, der 
Unterkunft, der ärztlichen Behandlung. Das Werk 
wird dadurch vielleicht um einige Wochen in seiner 
Vollendung verzögert, die Kosten um ein Geringes 
vermehrt, dafür aber ein Kapital an Negerleben 
orhalten. Hier steht wirtschaftliche Forderung 
gegen wirtschaftliche Forderung, aber auch Nah- 
wirkung gegen Feruwirkung. Letztere, die gleich- 
zeitig die wirtschaftliche Dauerwirkung in sich 
schließt, hat der Volkshygieniker zu vertreten. 
Besonders schwierig ist die Stellung der ärzt- 
lichen Außenposten, der Neugründungen im In- 
lande, von denen hoffentlich von Jahr zu Jahr 
immer mehr geschaffen werden. Dort bringt der 
Arzt auf einmal ganz neue Nummern in das Ver- 
waltungsprogramm des Bezirkes, die diesem bis 
dahin vielleicht ganz ferugelegen haben und für 
die es nicht zurechtgeschnitten war. So kann es 
wohl vorkommen, daß ein Argt, der sich nicht nur 
um seine tägliche Praris kümmert, zunächst als 
recht unbeqguem empfunden wird. Versteht er es 
  
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nicht, seinen Plänen und Aufgaben die Sympa-= 
thien der Verwaltungsbehörde zu verschaffen, so ist 
der Grund zu Differenzen leicht gelegt. Ihr Ent- 
stehen mag hier und da noch dadurch begünstigt 
werden, daß die an sich gewiß lobenswerte Eigen- 
schaft des Deutschen, gerade sein persönliches 
Ressort als das bedeutungsvollste anzusehen, auf 
afrikanischem Boden sich bisweilen in übermäßiger 
Üppigkeit entfaltet, woraus dann die Gefahr er- 
wächst, andere Aufgaben zu unterschätzen. Beim 
Arzte vermag entschuldbarerweise noch leicht das 
menschliche Gefühl des Mitleids für die von 
Seuchen heimgesuchten Eingeborenen mitzu- 
sprechen und ihn in seinen Forderungen zu be- 
stärken. Jeder wird dieses Gefühl gern beim Arzte 
sehen, solange es sich um die Behandlung eines 
einzelnen Kranken handelt. Sofort aber ändert 
sich das Bild, wenn die Volksgesundheit in Frage 
steht. Derselbe Arzt, der mit Recht der stärksten 
Mißbilligung begegnen würde, wenn er etwa einen 
Schwerverletzten seinem Schicksal überlassen 
wollte, wird gar nicht anders können, als ruhig 
mit anzusehen, wie jährlich nicht einer, sondern so 
und so viele dem Verderben anheimfallen, weil 
unser hygienisches Können und Wollen vorläufig 
nicht in Einklang zu bringen sind mit mancherlei 
in unseren Kolonien unvermeidlichen Beschrän- 
kungen. Es folgt daraus, daß das redliche Wollen 
des Kolonialhygienikers allein nicht zu einem Er- 
folge genügt. So manche rauhe Notwendigkeit 
muß von ihm wohl erwogen und in Rechnung ge- 
stellt werden. Geschieht das nicht, so ergeben sich 
für ihn zwei gleich unerwünschte Möglichkeiten. 
Entweder er gerät in Konflikte und wird dadurch 
untanglich zum Kolonialdienst, oder er weicht 
allen Unannehmlichkeiten, welche die Mitarbeit am 
der Volkshygiene ihm möglicherweise bringen 
kann, von voruherein aus und beschränkt sich auf 
seine tägliche Praris unter Weißen und Schwarzen. 
In beiden Fällen kommen die wirtschaftlichen For- 
derungen des Landes schlecht weg. Der koloniale 
Volkshygieniker darf, um vorwärts zu kommen, 
nicht mit Volldampf fahren, denn er hat kein 
klippenfreies Wasser. Langsame Fahrt und vor- 
sichtige Steuerung. Bisweilen wird er sich wohl 
sogar begnügen müssen, wenn die der Volksgesund- 
heit der Eingeborenen entgegengesetzten Strö- 
mungen europäischer Kultur (Alkohol, Syphilis, 
erhöhte Infektionsgefahren) ihn überhaupt noch 
vorwärts kommen lassen.) Das Haupthindernis 
für die volle Entfaltung volkshygienischer Für- 
1) Ju eingehender Weise hat der Verfasser versucht, 
die durch Berührung mit dem Weißen geschaffene bis- 
herige rassenhygienische Bilanz zu zieben in eine: Ab- 
haudlung: Die hygienische Beeinflussung der 
schwarzen Rasse durch die weiße in Toge 
Archiv für Rassen- und Geiellschaftsbiologie: Dez. 1905.
	        
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