Full text: Deutsches Kolonialblatt. XXI. Jahrgang, 1910. (21)

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sorge ist in der Beschränktheit unserer Hilfsmittel 
gegeben. Zum erfolgreichen Kampfe bedarf es vor 
allem der Streiter und des Geldes. Wir können 
aber in den Kolonien nicht sagen wie daheim: so 
und so viel müssen wir haben, um dieses oder jenes 
Ziel zu erreichen, sondern: so viel können wir un- 
gefähr erhoffen, von der Heimat her bewilligt zu 
erhalten und damit müssen wir auskommen. Was 
von dieser Summe nicht bestritten werden kann, 
hat einfach unberücksichtigt zu bleiben oder ist für 
später aufzuschieben. Ahnlichen Maximen müssen 
natürlich nicht nur wir, sondern auch andere kolo- 
nisierende Völker huldigen, wiewohl die für hygie- 
nische Zwecke aufgewendeten Mittel in denjenigen 
englischen und auch französischen Kolonien West- 
afrikas, deren Verhältnisse sich mit denen der 
unseren vergleichen lassen, doch größer, oft sogar 
ganz erheblich größer sind. Es ist natürlich schwer, 
zahlenmäßig festzulegen, welche Aufwendungen 
vom volkswirtschaftlichen Standpunkte aus sich für 
volksgesundheitliche Zwecke rechtfertigen lassen, bis 
zu welcher Höhe sie ein gut angelegtes Kapital dar- 
stellen würden. Immerhin sei ein kleines Exempel 
gestattet. Man kapitalisiere für Togo und Ka- 
merun 10 000 Eingeborene, Männer, Frauen, 
Kinder, die wir jährlich im Durchschnitt durch 
Pockenepidemien verlieren. Man setze den Kapi- 
talswert eines einzelnen Eingeborenen hinsichtlich 
Steuerkraft, Produktionsfähigkeit, Kaufkraft oder 
als Arbeiter auf Plantagen, als Träger oder 
schließlich auch nur als Familienvater oder Mutter 
auf den Betrag von 10 Mark jährlich fest und 
nehmc an, daß der Dahingeraffte im Mittel noch 
zehn Jahre gelebt hätte. Das würde einen jähr- 
lichen Verlust an Wirtschaftskapital von einer 
Million bedeuten. Wir sind nun gerade den 
Tocken gegenüber in der ausnahmsweise günstigen 
Lage, mit aller Bestimmtheit behaupten zu können, 
daz die erste einigermaßen allgemeine Durch- 
impfung des Landes auch ihr Erlöschen bringt und 
veriodische Wiederimpfungen sie dauernd fern- 
halten, wie es für einige Küstenplätze ja bereits 
erreicht ist. Und wieviel wird jährlich für die 
Turchimpfung Togos und Kameruns ausgegeben? 
— Es ist dies natürlich ein ziemlich willkürliches 
Rechenerempel. Aber eins ist sicher bei ihm, die 
dabei eingesetzten Zahlen haben als Mindestwerte 
iu gelten! Die Rücksichtnahme auf das Budget der 
Kolonie also ist die eine große Unabänderlichkeit, 
die unserm Tempo im Fortschritt volksgesundheit- 
licher Fürsorge für die Eingeborenen ein vorläufig 
unübersteigbares Hindernis setzt. Hier müssen wir 
uns mit der Zukunft trösten, die eine größere Ren- 
labilität der Kolonien und dann vielleicht eine 
größere pekuniäre Bewegungsfreiheit in abseh- 
barer Zeit erhoffen läßt. 
Anders steht es mit den Schwierigkeiten, die 
  
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im Rahmen der verfügbaren Mittel die Einord- 
nung der Volkshygiene ins übrige Wirtschafts- 
programm der Schutzgebiete bereiten kann. Diese 
sind keineswegs unvermeidlich. Das, was an erster 
Stelle sie überwinden läßt, ist die persönliche, 
gegenseitige Rücksichtnahme der dabei in Betracht 
kommenden Instanzen; beim Verwaltungsbeamten 
volkshygienisches Verständnis, beim Arzte Be- 
schränkungstalent in seinen Anforderungen. Für 
den Arzt ist eine solche Beschränkung nicht immer 
leicht, denn sie bedeutet für ihn einen teilweisen 
Verzicht gerade auf das, was er ärztlich für er- 
strebenswert halten muß. Jedenfalls muß vom 
kolonialen Volkshygieniker verlangt werden, daß 
er keine unerfüllbaren Forderungen stellt. Er hat 
wohl eine Weiterentwicklung der Eingeborenen- 
hygiene fest im Auge zu behalten mit Beseitigung 
vorhandener und Verhütung drohender Schäden 
des Volkswohles, aber er darf keine Neuerungen 
verlangen, die revoltierend in das ganze übrige 
Verwaltungsprogramm einbrechen. Wir können 
nicht in wenigen Jahren mit unsern beschränkten 
Hilfsmitteln das erreichen, was alte Kulturvölker 
in jahrzehntelangen Mühen unter Aufwendung 
von Riesensummen auf diesem Gebiete schafften. 
Der Volkshygieniker muß wie jeder andere Kolo- 
nialbeamte warten können, wenn vielleicht auch 
gerade ihm besonders schwer wird, diese Kunst zu 
üben, wo es sich um den Verlust von vielen 
Menschenleben handelt. Tardiora sunt remedia 
qduam mala. Der Abstand zwischen unseren kolo- 
nialhygienischen Zielpunkten und dem zur Zeit 
Erreichbaren ist freilich groß, aber wir dürfen uns 
damit trösten, daß er sich von Jahr zu Jahr ver- 
ringert. Wie auf manchen anderen Gebieten kolo- 
nialer Entwicklung muß auch den Arzt der hoff- 
mungsvolle Ausblick in die Zukunft über eine nicht 
sorgenfreie und wunschlose Gegenwart hinweg- 
helfen. Im gegenseitigen Verstehen und Rücksicht- 
nehmen der Beteiligten ist also ein Weg gegeben, 
um volkshygienische Arbeit zu erleichtern. Leider 
läßt er sich nicht bestimmt vorzeichnen. Es ist aber 
nicht der einzige Weg; es gibt noch andere, die zu 
erfolgreicher Entwicklung der Volkshygiene hin- 
leiten. Letztere ist zweifellos in sehr hohem Grade 
abhängig von einem planmäßigen Vorgehen. Wir 
müssen uns deshalb ganz unzweidentig über die 
beiden Fragen klar werden: was streben wir in 
der Eingeborenenhygiene unserer Kolonien an, 
und wie wollen wir das Erstrebte erreichen? Die 
letztere Frage wird beantwortet durch eine zweck- 
mäßige Organisation aller volkshygienischen Ar- 
beiten. Wenn schon auch ihre richtige Lösung ein 
selbstverständliches Erfordernis für den Erfolg ist, 
so interessiert sie uns hier weniger, weil sie nur 
gegeben werden kann nach Beantwortung der 
ersteren, der kolonialwirtschaftlich ausschlag-
	        
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