55
merksamkeit des Gouvernements in Windhuk er-
regt und es als notwendig erscheinen lassen, die
deutsche Macht auch dort zur Geltung zu bringen.
Zur Erreichung dieses Ziels verbot der Gou-
verneur durch Verordnung vom 16. Oktober 1908
zunächst den Zutritt zum Caprivi-Zipfel ohne be-
sondere amtliche Genehmigung und bestimmte,
daß Gegenstände, die unter Umgehung dieses
Verbots in den Caprivi-Zipfel eingeführt oder
dort erworben würden, der Einziehung unterliegen
sollten. Sodann wurde der bisherige Distriktschef
von Gobabis, Hauptmann Streitwolf, als Re-
sident mit einem Feldwebel, zwei Sergeanten und
vierzehn Eingeborenen-Soldaten nach dem Caprivi-
Zipiel entsandt.
Streitwolf brach am 15. November 1908 von
Gobabis auf, betrat nach einem Zuge durch das
britische Betschuanaland am 27. Januar 1909
den Caprivi-Zipfel und erreichte am 3. Februar
das rechte Sambesi-Ufer gegenüber dem britischen
Sesheke. Dort schlug er sein Lager auf und
errichtete eine provisorische Station.
Bei Erfüllung seiner Aufgabe sah sich Haupt-
mann Streitwolf eigenartigen politischen Verhält-
nissen gegen übergestellt.
Der Caprivi-Zipfel wird im Norden von
Portugiesisch-Angola, im Nordosten und Osten
durch Britisch-Rhodesia, im Süden durch das
Betschnanaland-Protektorat begrenzt.
Die Verwaltung von Rhodesia untersteht der
British South Africau Company) (Chartered-
Comp.), welche Sesheke zum Sitz eines Distrikts-
kommissars und einer Eingeborenen-Polizeitruppe
gemacht hat.
bildet das alte Barotse-Reich. Die Chartered
Company hat den Barotses, soweit als möglich,
ihre alte Verfassung gelassen.
Das Barotse-Reich untersteht dem König
Luanika und wird von ihm absolut regiert.
Es zerfällt in mehrere Provinzen, an deren Spitze
Läuptlinge, in der Regel Luanikas Söhne, stehen.
Die Provinzen wiederum sind eingeteilt in kleinere
Bezirke, welche je einem Induna unterstehen.
Lauptlinge und Indunas werden vom König
eingesetzt und empfangen von ihm ihre Autorität.
Die Bezirke der Indunas haben keine festbestimmten
räumlichen Grenzen, sondern werden dadurch ge-
Den größten Teil von Rhodesia
0
bildet, daß je einem Induna mehrere Dorf—
gemeinschaften unterstellt werden. An der Spitze
eines Dorfes steht der Dorsschulze.
Die Barotse selbst sind nicht allzu zahlreich.
Sie haben sich aber gleichwohl seinerzeit die ihr
Reich bewohnenden Stämme mit Gewalt unter-
worfen. Sie sind der herrschende Stamm, dem
die anderen Stämme dienen. Sämtliche Barotse
sind als Angehörige des herrschenden Stammes
Großleute; nur aus ihnen werden die Indunas
erwählt.
Der Machtbereich des Barotsekönigs endete
nicht an der deutsch-englischen Grenze, sondern
erstreckte sich über dieselbe hinaus auch über den
deutschen Caprivi-Zipfel. Zwei Barotse-Provinzen
reichten in den Caprivi-Zipfel hinein, nämlich die
Provinz des in Sesheke sitzenden Häuptlings
Letias und die Provinz des in Kaunga woh-
nenden Häuptlings Letia-Njana. Beide sind
Söhne Luanikas, der erstere ist zu seinem Nach-
folger bestimmt. Häuptlinge und Idunas des
Königs Luanika herrschten also auch in deutschem
Gebiet.
Was die Stammesangehörigkeit der den Caprivi-
Zipfel bewohnenden Eingeborenen anlangt, so
gehören, von den wenigen Barotses abgesehen,
weitaus die meisten den Stämmen der Masubia,
der Majue und der Mafei an.
Hauptmann Streitwolf hatte auf seinem Zuge
den Linjanti-Strom abwärts, längs der südlichen
Grenze des Caprivi-Zipfels und dann in der
Sambesi-Niederung in unserem Gebiete fast gar
keine Eingeborenen-Werften vorgefunden. Das
Land schien in den Niederungen dieser Flüsse fast
ganz unbewohnt. Diese Erscheinung war, wie
Hauptmann Streitwolf in Sesheke und später
aus den Wünschen und Klagen der von ihm be-
suchten Eingeborenen-Dörfer feststellen konnte, auf
folgende Ursache zurückzuführen: Einige Zeit schon
vor der Ankunft der Streitwolfschen Expedition
hatte der High Commissioner für Britisch-Südafrika
die Vieheinfuhr aus unsorem Gebiete nach den
britischen Kolonien verboten. Die Chartered
Company hatte den Barotse infolgedessen klar
gemacht, daß die in unserem Gebiete wohnenden
Barotse der deutschen Jurisdiktion unterworfen
seien und ihr Vieh nicht über den Sambesi in