Full text: Deutsches Kolonialblatt. XXVI. Jahrgang, 1915. (26)

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Dachte man zunächst, es hier mit Arbeitsunlust motiv jeder Kolonialverwaltung: Das Schaffen 
einer noch ziemlich bedürfnislosen Bevölkerung zu 
tun zu haben, so sah man bald ein, daß es 
hauptsächlich ein anderer Faktor war, der den 
Arbeitermangel bedingte: die Bevölkerungsziffer 
war meist nicht so hoch als man gedacht 
hatte. 
Wir wollen dies nun in bezug auf Kamerun 
und im besonderen in bezug auf das Sangme- 
lima-Gebiet prüsen. In Kamerun haben wohl 
alle, die als erste fechtend in den Urwald ein- 
drangen, die Zahl der dortigen Bevölkerung weit 
überschätzt. Es lag dies hauptsächlich an der 
Kampfesweise der Eingeborenen. Des Massen- 
gefechtes, des geschlossenen Angriffs bei Tage ab- 
hold, lauerten sie einzeln oder in Trupps von 
zwei bis drei Mann den Weißen auf. Das daraus 
sich ergebende dauernde Geplänkel, das monate- 
lange Hinziehen der Kämpfe ohne nennenswerte 
Erfolge mußte den Gedanken aufkommen lassen, 
man hätte mit vielen Tausenden von Kriegern zu 
tun, wo es sich oft nur um wenige Hunderte 
handelte. War dann ein Gebiet befriedet, so 
dauerte es Jahre — und in manchen Teilen noch 
länger —, bis es gelang, die Bevölkerung aus 
dem „Busch“ zu holen und an die Straßen zu 
siedeln. Bei der Unübersichtlichkeil des Geländes 
war dies natürlich kein Leichtes. Eine genaue 
Zählung der Bevölkerung war daher auch sehr 
schwierig. Sie wurde noch schwieriger, als die 
Bevölkerung bei Einführung der Kopfsteuer, Ge- 
stellung von Arbeitern usw. ein Interesse daran 
hatte, möglichst gering zu erscheinen. Nur durch 
dauerndes Bereisen der Bezirke, wiederholtes 
Zählen der Bevölkerung (besonders beim Impfen, 
zu dem sich die Eingeborenen meist drängten) und 
Geländeaufnahmen gelang es allmählich, eine 
genauere Bevölkerungsstatistik zu erhalten. Wie 
schwierig die darin enthaltenen Feststellungen 
waren, möchte ich nur an zwei Beispielen zeigen: 
Nachdem der Bezirk schon jahrelang in Verwaltung 
war, wurde mir die Erxistenz des Dorfes Banam 
erst im Februar 1913 dadurch bekannt, daß gegen 
einen dortigen Bewohner eine Klage vorgebracht 
wurde. Fünf Jetsang-Häuptlinge erhielten von 
mir nach ihrer Unterwerfung im Frühjahr 1907 
Ausweise; sie entzogen sich dann so lange der 
Kenntnis der Behörde, bis ich sie im Februar 
1913 in ihren Buschdörfern überraschte. 
Als man sich nun darüber klar wurde, wie 
gering die Zahl der Bevölkerung war, als man 
sah, wie bei der steigenden Zahl europäischer 
Unternehmungen ein immer größerer Arbeiter- 
mangel eintrat, der besonders bei Pflanzungen in 
menschenarmen Gebieten zu einer Eristenzfrage 
wurde, da setzten die Bemühungen ein, die Be- 
völkerungsziffer zu heben. Seitdem ist das Leit- 
  
einer zahlreichen, arbeitsfähigen Bevölke- 
rung gebieten nicht nur humane Gründe, sondern 
gebietet die Erkenntnis, daß darauf die wirt- 
schaftliche Zukunft einer Kolonie beruht. 
Zur Vermehrung einer Bevölkerung muß man 
bemüht sein, die Geburtenziffer zu erhöhen und 
die Sterblichkeitsziffer herabzudrücken. Die Wege, 
dies zu erreichen, sind teils rechtlicher, teils sani- 
tärer Art. In welcher Weise man diesem Problem 
in Kamerun gerecht wurde, will ich in folgendem 
zeigen: 
Mit der Einrichtung einer geordneten Ver- 
waltung hörten die Kämpfe der Eingeborenen 
untereinander auf. Vieler Menschen Leben wurde 
hierdurch nicht nur unmittelbar, sondern auch da- 
durch gerettet, daß Hungersnöte mit ihren vielen 
Opfern aufhörten. Denn eine Bevölkerung, die 
dauernd in Kämpfe verwickelt ist, besitzt kaum 
Farmen, sei es, daß der Feind diese dauernd zer- 
stört, sei es, daß er ihr überhaupt keine Zeit zu 
deren Anlage läßt. Mangelhafte Ernährung ent- 
kräftet ein Volk, hat eine geringe und schwäch- 
liche Nachkommenschaft zur Folge und erhöht die 
Sterblichkeit, besonders die der Kinder. In diesen 
Zeiten des Faustrechts war auch der Mord an 
der Tagesordnung, aus Blutrache, aus religiösem 
Anlaß, aus sadistischen Gründen oder zum Zwecke 
des Menschenfraßes. Das Leben des Weibes, 
von dem Eingeborenen als ein nützliches Haus- 
tier betrachtet, mit dem Geld verdient werden 
kann, galt vor dem Erscheinen des Weißen nicht 
sehr viel. Starb der Mann, so brachte man oft 
seine Weiber um, weil sie ihn vergiftet haben 
sollten, oder damit sie ihm nach dem Tode Essen 
kochen könnten. Kaum geboren, wurde das 
Mädchen in die Che verkauft, ging dann als 
Pfand von Hand zu Hand. War es dann er- 
wachsen, so hatte es zu dem Manne, der es 
gerade besaß, meist wenig Liebe, lief oft unter 
Instichlassung ihrer Kinder, die verkamen, fort 
oder beugte durch Abtreiben einem unerwünschten, 
beschwerlichen Kindersegen vor. Es muß hier be- 
merkt werden, daß das Abtreiben auch aus aber- 
gläubischen Gründen geschah und wohl auch jetzt 
noch heimlich geschieht. (Leibesfrucht vom évu 
besessen.) Die Stellung der Sklaven war der der 
Weiber ziemlich gleichwertig. Allem diesen ist jetzt 
durch gesetzliche Maßnahmen gesteuert. 
Eine Bevölkerung, die dauernd befürchten 
muß, vom Feinde vertrieben zu werden, wird sich 
nicht zu großen Dorfanlagen bequemen und wird, 
statt Verbindungswege zu anderen Siedlungen zu 
schaffen, jegliche Verbindung mit der Außenwelt 
zu sperren bemüht sein. Jeder einzelne Urwald- 
neger baute also seine Hütte möglichst versteckt 
und mit dem geringsten Aufwand von Zeit und
	        
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