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Dachte man zunächst, es hier mit Arbeitsunlust motiv jeder Kolonialverwaltung: Das Schaffen
einer noch ziemlich bedürfnislosen Bevölkerung zu
tun zu haben, so sah man bald ein, daß es
hauptsächlich ein anderer Faktor war, der den
Arbeitermangel bedingte: die Bevölkerungsziffer
war meist nicht so hoch als man gedacht
hatte.
Wir wollen dies nun in bezug auf Kamerun
und im besonderen in bezug auf das Sangme-
lima-Gebiet prüsen. In Kamerun haben wohl
alle, die als erste fechtend in den Urwald ein-
drangen, die Zahl der dortigen Bevölkerung weit
überschätzt. Es lag dies hauptsächlich an der
Kampfesweise der Eingeborenen. Des Massen-
gefechtes, des geschlossenen Angriffs bei Tage ab-
hold, lauerten sie einzeln oder in Trupps von
zwei bis drei Mann den Weißen auf. Das daraus
sich ergebende dauernde Geplänkel, das monate-
lange Hinziehen der Kämpfe ohne nennenswerte
Erfolge mußte den Gedanken aufkommen lassen,
man hätte mit vielen Tausenden von Kriegern zu
tun, wo es sich oft nur um wenige Hunderte
handelte. War dann ein Gebiet befriedet, so
dauerte es Jahre — und in manchen Teilen noch
länger —, bis es gelang, die Bevölkerung aus
dem „Busch“ zu holen und an die Straßen zu
siedeln. Bei der Unübersichtlichkeil des Geländes
war dies natürlich kein Leichtes. Eine genaue
Zählung der Bevölkerung war daher auch sehr
schwierig. Sie wurde noch schwieriger, als die
Bevölkerung bei Einführung der Kopfsteuer, Ge-
stellung von Arbeitern usw. ein Interesse daran
hatte, möglichst gering zu erscheinen. Nur durch
dauerndes Bereisen der Bezirke, wiederholtes
Zählen der Bevölkerung (besonders beim Impfen,
zu dem sich die Eingeborenen meist drängten) und
Geländeaufnahmen gelang es allmählich, eine
genauere Bevölkerungsstatistik zu erhalten. Wie
schwierig die darin enthaltenen Feststellungen
waren, möchte ich nur an zwei Beispielen zeigen:
Nachdem der Bezirk schon jahrelang in Verwaltung
war, wurde mir die Erxistenz des Dorfes Banam
erst im Februar 1913 dadurch bekannt, daß gegen
einen dortigen Bewohner eine Klage vorgebracht
wurde. Fünf Jetsang-Häuptlinge erhielten von
mir nach ihrer Unterwerfung im Frühjahr 1907
Ausweise; sie entzogen sich dann so lange der
Kenntnis der Behörde, bis ich sie im Februar
1913 in ihren Buschdörfern überraschte.
Als man sich nun darüber klar wurde, wie
gering die Zahl der Bevölkerung war, als man
sah, wie bei der steigenden Zahl europäischer
Unternehmungen ein immer größerer Arbeiter-
mangel eintrat, der besonders bei Pflanzungen in
menschenarmen Gebieten zu einer Eristenzfrage
wurde, da setzten die Bemühungen ein, die Be-
völkerungsziffer zu heben. Seitdem ist das Leit-
einer zahlreichen, arbeitsfähigen Bevölke-
rung gebieten nicht nur humane Gründe, sondern
gebietet die Erkenntnis, daß darauf die wirt-
schaftliche Zukunft einer Kolonie beruht.
Zur Vermehrung einer Bevölkerung muß man
bemüht sein, die Geburtenziffer zu erhöhen und
die Sterblichkeitsziffer herabzudrücken. Die Wege,
dies zu erreichen, sind teils rechtlicher, teils sani-
tärer Art. In welcher Weise man diesem Problem
in Kamerun gerecht wurde, will ich in folgendem
zeigen:
Mit der Einrichtung einer geordneten Ver-
waltung hörten die Kämpfe der Eingeborenen
untereinander auf. Vieler Menschen Leben wurde
hierdurch nicht nur unmittelbar, sondern auch da-
durch gerettet, daß Hungersnöte mit ihren vielen
Opfern aufhörten. Denn eine Bevölkerung, die
dauernd in Kämpfe verwickelt ist, besitzt kaum
Farmen, sei es, daß der Feind diese dauernd zer-
stört, sei es, daß er ihr überhaupt keine Zeit zu
deren Anlage läßt. Mangelhafte Ernährung ent-
kräftet ein Volk, hat eine geringe und schwäch-
liche Nachkommenschaft zur Folge und erhöht die
Sterblichkeit, besonders die der Kinder. In diesen
Zeiten des Faustrechts war auch der Mord an
der Tagesordnung, aus Blutrache, aus religiösem
Anlaß, aus sadistischen Gründen oder zum Zwecke
des Menschenfraßes. Das Leben des Weibes,
von dem Eingeborenen als ein nützliches Haus-
tier betrachtet, mit dem Geld verdient werden
kann, galt vor dem Erscheinen des Weißen nicht
sehr viel. Starb der Mann, so brachte man oft
seine Weiber um, weil sie ihn vergiftet haben
sollten, oder damit sie ihm nach dem Tode Essen
kochen könnten. Kaum geboren, wurde das
Mädchen in die Che verkauft, ging dann als
Pfand von Hand zu Hand. War es dann er-
wachsen, so hatte es zu dem Manne, der es
gerade besaß, meist wenig Liebe, lief oft unter
Instichlassung ihrer Kinder, die verkamen, fort
oder beugte durch Abtreiben einem unerwünschten,
beschwerlichen Kindersegen vor. Es muß hier be-
merkt werden, daß das Abtreiben auch aus aber-
gläubischen Gründen geschah und wohl auch jetzt
noch heimlich geschieht. (Leibesfrucht vom évu
besessen.) Die Stellung der Sklaven war der der
Weiber ziemlich gleichwertig. Allem diesen ist jetzt
durch gesetzliche Maßnahmen gesteuert.
Eine Bevölkerung, die dauernd befürchten
muß, vom Feinde vertrieben zu werden, wird sich
nicht zu großen Dorfanlagen bequemen und wird,
statt Verbindungswege zu anderen Siedlungen zu
schaffen, jegliche Verbindung mit der Außenwelt
zu sperren bemüht sein. Jeder einzelne Urwald-
neger baute also seine Hütte möglichst versteckt
und mit dem geringsten Aufwand von Zeit und