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Schwäche nahm schnell und zusehends zu. Ein-
mal flüsterte sie müde: „Niemand denkt an mich!“
Auf die Frage, ob sie nicht fühle, daß Jesus,
ihr Heiland, ihr nahe sei, antwortete sie mit
Anstrengung ihrer letzten Kraft, aber deutlich ver-
nehmbar: „Doch!“ Erst gegen Abend kamen
zwei Arzte zu einer kurzen Untersuchung. Sie
teilten Missionar Märtens mit, daß seine Frau
ernstlich krank sei und daß es sich scheinbar um
eine Gehirnhautentzündung handle, die wohl
infolge chemischer Einwirkung von Sonnenstrahlen
eingetreten sei. Eine augenblickliche Gefahr läge
nicht vor, er könne ins Lager zurückkehren. Gegen
11 Uhr rief man ihn aber wieder und er blieb
dann die Nacht über bei ihr. Wie am Tage, so
ließ sich auch jetzt niemand von dem weißen Per-
sonal sehen. Am 4. Dezember, vormittags
10¼ Uhr, entschlief die müde Pilgerin als
Kriegsgefangene in Feindesland fern von der
Heimat und allen ihren Lieben. Von der schwarzen
Pflegerin hörte Missionar Märtens nachträglich
noch, daß sie in den letzten Tagen sehnlichst nach
ihm verlangt und täglich gebeten habe, man
möge doch ihrem Manne gestatten zu kommen.
Ihr Wunsch blieb unerfüllt. Sie war daher so
in Sorge um ihn, den sie schon auf einem Ge-
fangenenkransport wähnte, und voll Sehnsucht
nach ihren Kindern in der Heimat, die sie vor
lihrem Tode wiederholt im Geiste sah und mit
ihnen laut redete, aber niemend war da, der
ihre Sehnsucht stillte. Dieser Leidenszug hatte
sich in ihrem Antlitz ausgeprägt.
Am folgenden Tage, dem Geburtstage eines
ihrer Töchterchen, fand in früher Morgenstunde
die Beerdigung auf dem Basler Missions-
friedhof in Christiansborg statt. Die Basler
Missionsgeschwister, die an dem herben Ver-
lust Missionar Märtens’ innigen Anteil nahmen,
sorgten in anerkennenswerter, dankenswerter Weise
für all die nötigen Vorkehrungen zur Bestattung;
sie schenkten auch einen schönen Sarg, da die
englische Regierung nur einen gewöhn-
lichen, für Eingeborene bestimmten geben
wollte. An dem Begräbnis beteiligten sich die
meisten der Kriegsgefangenen; die Erlaubnis
dazu war ihnen erteilt worden. In Christians--
borg angekommen, schlossen sich dem Trauerzuge
zu beiden Seiten etwa 150 Missionszöglinge an
und begleiteten den Sarg singend nach dem
Friedhofe. Hier erwartete Herr Zürcher, Präses
der Mission, die 300 bis 400 Personen zählende
Tranerversammlung. Seinen Trostesworten legte
er Psalm 39 zugrunde. Die Krankheit der Ent-
schlafenen erwähnend, sagte er: „Man weiß nicht,
was Frau Märtens fehlte, als nur das eine:
sie ist den Ereignissen erlegen.“" Von der Ver-
sammlung wurden einige Lieder in deutscher, von
rt
dem Chor der Missionszöglinge einige in der
Ga-Sprache gesungen. Die Feier machte auf
alle Beteiligten einen tiefen Eindruck.
6. Die Behandlung der Missionare in
englischer Gefangenschaft.
Sonntag, der 27. September, brachte uns die
traurige Tatsache der Ubergabe Dualas. Die
darauf folgende Nacht verlief für uns noch ruhig,
aber am nächsten Morgen ließen uns die schwarzen
und weißen Engländer und Franzosen keine Ruhe
mehr. Unsere Missionare wurden von ihnen
aus dem Hause kommandiert und mußten vor
ihnen im Hofe antreten. Montag ließ man uns
noch frei, am Dienstagmorgen, den 29. Sep-
tember, wurden wir dann auch gefangen ge-
nommen. Man sagte uns zwar: „Sie brauchen
ihre Namen nur im Hospital einzutragen und
können gleich wieder gehen“, aber man behielt
uns dort und fing auf diese Weise alle Deutschen.
Mittwoch wurden wir dann auf den kleinen
englischen Dampfer „Bathurst“ gebracht. Der-
selbe ließ, was Reinlichkeit anbetrifft, viel zu
wünschen übrig. Die Herren mußten Tag und
Nacht auf Deck zubringen, den Damen wurden
Kabinen angewiesen, doch in solch einem Zustande,
daß es Überwindung kostete, darin zu schlafen.
Um Mitternacht wurden wir geweckt und nach
Geld untersucht. Als wir aufs Deck kamen,
hatte man Missionar Märtens schon 200 Mark
weggenommen. Nur 25 Pfennig hatte man
ihm gelassen! Auch nach Waffen wurde gesucht.
Am nächsten Tage fuhren wir dann bis zu dem
Platz, wo der englische Kreuzer „Cumberland“,
ein alter französischer Panzerkreuzer und auch
noch verschiedene Kanonenboote lagen. Dort
blieben wir die zweite Nacht.
Betreffs des Essens machte sich niemand
Sorge. Die ersten zwei Tage bekamen wir
gar nichts! Am dritten Tage wurde etwas
Proviant verteilt, doch so, daß man nicht satt
wurde. Ein Herr bekam ein Glas gemahlenen
Pfeffer, ich erhielt ein Stück Seife und viele an-
dere ungenießbare Ware. Am vierten Tage er-
hielt jeder zwei Stück Schiffszwieback — zusammen
etwa ½ Pfund — und einen Salzhering, und
damit mußte man einen Tag auskommen. Später
gab es Salzfleisch mit Reis. Die Brühe davon
war oft ganz grün und oben schwammen die
Maden. Teller, Tassen und Bestecke waren nicht
vorhanden. Einige aßen aus der hohlen Hand,
andere wir auch — klopften den Rand leerer
Konservenbüchsen glatt, und aus alten Brettern
wurden Löffel geschnitzt. Wir hatten eine Emaille-
schüssel geschenkt bekommen und diese diente uns
— etwa 22 Personen — als Eß-, Wasch= und