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unter gleichzeitiger Verlängerung seiner Form
bis zum Parallel 6 ½ nördl. Br. so umzugestalten,
daß er auf einen Abstand von 40 Miles vom
westlichen Nilufer abgedrängt wurde, so daß
England in den ungestörten Besitz beider Nilufer
gelangte. England schlug als östliche Grenze des
neuen Pachtgebietes den Lauf des Mei, eines
linken Nebenflusses des Nil, vor, im Norden sollte
im allgemeinen der Parallel 6° 30“ bis zur Kongo-
Nil-Wasserscheide die Grenze bilden, doch sollten
dabei die topographischen Verhältnisse und die
Stammesgrenzen Berücksichtigung finden. Inner-
halb einer gewissen Zeit, etwa ein Jahr nach dem
Zustandekommen dieses neuen Vertrages, sollte
der Kongostaat verpflichtet sein, alle Stationen
östlich der neuen Grenze zu räumen. Das gleiche
sollte für die englischen Stationen gelten, soweit
sie westlich dieser Grenze lagen. Bis diese kongo-
lesischen Posten mit Ausnahme von Lado, für
dessen Räumung eine dreijährige Frist vorgesehen
war, geräumt seien, solle der Kongostaat ver-
pflichtet sein, keine Schritte zu unternehmen, das
ihm westlich der Yei-Grenze zugewiesene Gebiet
zu besetzen. Das war ein Punkt, auf den Eng-
land besonderen Wert legte, dem aber die kongo-
lesischen Gegenvorschläge stillschweigend aber be-
harrlich aus dem Weg gingen. Andere Punkte
des Vertragsentwurfes betrafen den Warentrans-
port für den Kongostaat auf dem Nil durch den
ägyptischen Sudan, welcher unter gleichen Bedin-
gungen wie der der ägyptischen oder englischen
Waren erfolgen sollte, ferner die Anlage von gewissen
Handelsdepots durch den Kongostaat am Nil,
denen aber keine extraterritorialen Rechte zustehen
sollten, ebensowenig wie den auf dem oberen
Nil fahrenden kongolesischen Handelsschiffen. Die
englische Regierung versprach ferner, den Bau einer
Eisenbahn durch eine belgisch-englische Gesellschaft
vom Nil nach dem Kongostaat zuzulassen. Ein
letzter Paragraph bestimmte schließlich, daß die
vom König im Nilgebiet gewährten Konzessionen
nur für das neu zu vereinbarende Pachtgebiet
Gültigkeit haben sollten.
Dieser erste englische Entwurf wurde am
25. Januar 1902 überreicht, ihm antwortete ein
kongolesischer vom 6. Februar 1902, der aber
die eigentlichen Absichten des Königs nicht ent-
hüllte. Ihm war das angebotene Gebiet in
seinem unersättlichen Landhunger an sich zu klein,
er wünschte das ganze Dei-Tal mit seiner Be-
völkerung zu besitzen und dann vor allem eine
Ausdehnung des Pachtgebietes nach Nordwest zu
gegen die französische Grenze hin. Um die Katze
nicht im Sack zu kaufen und um über die zu
erwerbenden Gebiete Klarheit zu gewinnen, ent-
schloß er sich 1902, während die Verhandlungen
noch schwebten, den durch seine astronomischen
Ortsbestimmungen und topographischen Aufnah=
men im Katangagebiet sich ausgezeichnet haben-
den Capt. Charles Lemaire an der Spitze einer
starken zweiten „wissenschaftlichen"“ Expedirion?)
nach dem Pachtgebiet zu entsenden. Die ge-
heimen Ziele und Absichten des Königs gehen am
deutlichsten aus einem Erlaß an den General-
gouverneur in Boma hervor, der deshalb hier
folgen möge:
Bruxelles, le 30 Juillet 1902.
No. Sp. 1399.
Obict: Mission Lemairc.
Monsicur le Gouverneur Général,
Quelques pourparlers ont eu lieu relative-
ment au bail à longue durée, dont les limites
sont fixées par la convention de 1894 qui
Dorte:
Folgen die bekannten Bestimmugen des Vertrages.
I'idẽe anglaise serait de remplacer le bail
par une cession en toute souveraineté à I'Etat,
d'une sorte de quadrilatèere formé par la
rivière Vei, jusqu’au paralleie 6° 307 de lati-
tude Nord, ce parallele, et à I'Ouest, la eréte
de partage des caux du Nil et du Congo. I
serait ltenu compte, dans la délimitation defini-
tive à adopter, des limites des territoires occu-
Dés par les iribus. II en résultera des pertes
et des gains de territoires, entre lesquels il
faudra due nous cherchions à faire une
*) In seinem fast krankhaft zu nennenden Bestreben,
koste was es wolle, im Bahr el Ghazalgebiet, dessen
angebliche Kupferminen seine Phantasie besonders
reizen mochten, festen Fuß zu fassen, hatte der König
fast gleichzeitig eine weitere „wissenschaftliche“ Expedi-
tion unter den Capt. Royaur und Van Landeghem
ausgesandt, die von dem Sitz des Asande-Häuptlings
Doromna aus längs der Kongo-Nil-Wasserscheide er-
neut nach Hofrah en Nahas und den dortigen Kupfer-
minen vordringen sollte. Hier hatte Leopold schon am
15. Mai 1894 durch den Capt. Comm. Nilis mit dem
Sultan Hassein einen Vertrag wegen des Erwerbes
der Kupfererglager abschließen lassen, der aber infolge
er Mahdiunruhen ohne praktische Folgen geblieben
war. Royaux langte im Februar 1903 in Dorouma an,
wo er den dortigen Sultan und den von Tamburn
durch reichliche Spenden von Zündhütchengewehren zur
Unterstützung seiner Expedition zu bewegen wußte.
Landeghem wollte über Tamburu, Dem Bekir und
Dem Ziber, wo er am 19. April 1903 anlangte, nach
Darfur weiter vordringen, die englischen Behörden
verlegten ihm aber von Wau aus den Weg. Bereits
am 27. März 1903 hat die britische Gesandtschaft in
Brüfsel energisch Einspruch gegen den Vorstoß der Er-
pedition erhoben. Ende Juni wurde Royaur tele-
graphisch angewiesen, vorläufig in Tamburun zu bleiben,
und am 5. Oktober erfolgte von Brüssel angesichts der
drohenden Stellung Englands die Drahtanweisung an
Royaux, die Erpedition aufzulösen. Tamburu wurde
im Dezember 1903 von den sudanesischen Gouverne-
mentstruppen besetzt. Die erheblichen Kosten dieser
Expedition waren ganz umsonst ausgegeben.