Full text: Deutsches Kolonialblatt. XXVIII. Jahrgang, 1917. (28)

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zeichnend ist, daß das Gericht nicht einmal den 
Versuch machte, die Verhandlung zu vertagen, 
bis einem ev. Auslieferungsantrag an Belgien 
Folge gegeben sein konnte, sondern daß von vorn- 
herein von der Stellung eines solchen Antrages, 
als ob es sich um eine ganz selbstverständliche 
Sache handle, abgesehen wurde. 
Die gerichtliche Untersuchung gegen Tilkens 
ergab folgenden Tatbestand: 
1. Tilkens hat einem Träger in Libokwa 
zahlreiche Hiebe versetzen und ihn dann mit einer 
schweren Last auf dem Rücken andauernd um den 
Fahnenmast der Station herumgehen lassen. Dann 
hat er einem Korporal der Wache den Befehl ge- 
geben, auf den Mann zu schießen. Dieser Befehl 
wurde ausgeführt und der Eingeborene fiel mit 
einem Brustschuß tot zu Boden. 
2. Tilkens hat drei Träger, die ihre Lasten 
weggeworfen hatten, an Armen und Beinen binden 
und sie, nachdem sie durchgepeitscht worden waren, 
ins Gefängnis werfen lassen. Dann hat er diese 
drei Leute, die mit Ketten um den Hals anein- 
ander gefesselt waren, abgeschickt, um ihre Lasten 
zu suchen. Dem sie begleitenden Korporal hat 
er den Befehl erteilt, die Leute zu erschießen, falls 
sie den Versuch machen würden, zu entfliehen. 
Diese drei Träger wurden erschossen. 
3. Tilkens hat Eingeborene in großer Zahl 
gefangen gesetzt, darunter mehrere Häuptlinge, 
hat sie mit der Flußpferdpeitsche verprügeln und 
in Ketten sterben lassen, weil sie nicht genug 
Kautschuk zur Station brachten. 
4. Tilkens hat zahlreiche Frauen der Frei- 
heit beraubt, sie blutig schlagen lassen und sie 
dann als Beute seinen Soldaten überlassen. Dann 
hat er Männer, Frauen und Kinder in großer 
Anzahl ihrer Freiheit beraubt, die er während 
seiner gemeinsam mit dem oben erwähnten Janssens 
unternommenen kriegerischen Operationen gegen 
die Bewohner der Nachbarschaft der Station ge- 
fangen nahm, und hat sie daun im Gefängnis 
im schwärzesten Elend sterben lassen.“) 
*) Schwer belastend war besonders die Aussage 
eines Argtes, I)#r. Vedy, der als Gast und deshalb 
gegen die Ubelstände machtlos die Station berührt 
hatte. Nach ihm befand sich das Gefängnis in zwei 
iensterlosen Unterräumen eines 15 m langen und Gm 
breiten Gebändes. In diesen zwei Gelassen waren oft 
bis 120 Männer, Frauen, Kinder und Säuglinge 
eingepfercht. Die Insassen schlugen sich des nachts oft 
blutig im Kampf um einen Platz an den Türen, deren 
Spalten den Zutritt von etwas frischer Luft gestatteten. 
Sie waren zu Sleletten abgemagert, denn sie erhielten 
höchstens ein paar Bananen als Kost zugeworfen. Sie 
litten fast alle an den durch Schläge erzeugten Wunden, 
viele daneben an Durchfall, durchweg aber an äußerstem 
Elend und Hunger. Es kam vor, daß am Morgen von 
den Wachen bis sechs Tote herausgezerrt wurden. Der 
Zeuge warnte Tilkens vor den Folgen seiner Anord- 
zungen. jedoch ohne wesentlichen Erfolg damit zu er- 
zielen 
  
Tilkens behauptet, daß er die Handlungen, 
wegen denen er unter Anklage stehe, im Verlauf 
kriegerischer Unternehmungen, mit denen er be- 
auftragt gewesen sei, begangen habe, und ent- 
schuldigt sie mit den Schwierigkeiten, von denen 
er umgeben war, und mit der für ihn deshalb 
gegebenen Notwendigkeit, energische Maßnahmen 
zu ergreifen. Der Gerichtshof gibt zu, daß der 
Angeklagte von seinem Vorgesetzten, dem Distrikts- 
chef Verstraeten, mit der Kriegsführung beauf- 
tragt gewesen ist, daß dieser ihm völlig freie Hand 
gelassen und ihn sogar noch ausgemuntert hat.“) 
Es gehe aus der Untersuchung in der Tat hervor, 
daß bei dem Angriff auf ein Dorf, bei dem zahl- 
reiche Frauen gesangen wurden, Tilkens von dem 
Kommandant Verstraeten ermächtigt worden war, 
sich von einer Bande von 60 alten Soldaten vom 
Stamm der Likwangula begleiten zu lassen, der 
als Entgelt die Beute an gefangenen Frauen ver- 
sprochen war. In der Tat erhielten diese Söldner 
anstatt einer Bezahlung in Stoffen die gefangen- 
genommenen Frauen, die unter ihnen verlost 
wurden. 
Sicher trug Tilkens nach Ansicht des Gerichtes 
Schuld an der Mißhandlung und elenden Unter- 
bringung der Gefangenen, aber er war zugleich 
der Meinung, daß cclui qui procurait à Tilkens 
(en Pespecce le Commandant Verstraeten) ces 
mercenaires pour l’aider dans cette besogne, 
est aussi coupable due lui. De ce cöté donc, 
il peut y avoir atténuation pour Tilkens. Les 
faits de captures de femmes et d’enfants, les 
mauvais traitements infligés aux prisonniers, 
la remise de femmes aux soldats en guise de 
récompenses, ont été commis au cours ou à 
la suite d'opérations autorisées par le chef de 
Tilkens, !e Commandant Verstraeten, lequecl 
Connaissait la situation et n’'a rien fait pour 
Jmettre fin; on peut meme dire due Tilkens 
a obéi aux ordres de Verstraeten. II n'en est 
blus de méme en ce qui concerne les faits de 
mauvais traitements subis par duatre porteurs 
et le meurtre de ceux-ci. II s’agit d’actes de 
cruauté posés par ordre de Tilkens et qui 
Bn’ont aucune corrélation avec les opérations 
du'il a dü entreprendre.“ 
Der Angeklagte, der von Belgien aus ein 
ärztliches Zeugnis eingereicht hatte, nach dem sich 
ihm die Rückkehr nach Afrika aus Gesundheits- 
rücksichten verbiete — über welches Zeugnis der 
Gerichtshof hinwegging —, wurde am 4. April 
1903 zu zehn Jahren servitude pénale in con- 
tumaciam verurteilt. 
*) Nach einer Zeugenaussage begnügte sich auch 
der Inspecteur #Etut Hanolet bei einer Revision des 
Postens Libokwa damit, eine Anzahl der Gefangenen 
freizulassen, ohne Tilkens zu bestrafen oder ihn auch 
nur zu warnen.
	        
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