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das sind die Felsblöcke, die auf dem Acker liegen,
das sind die Hauptfaktoren, die einer gesunden
Weiterentwicklung der sich selbst überlassenen Ein-
geborenen im Wege stehen, die ihre Volkskraft
nicht zur Entfaltung kommen lassen und oft zum
Aussterben ganzer Stämme geführt haben. Eine
erfolgreiche Bekämpfung dieser am Marke der
Naturvölker zehrenden unheimlichen Kräfte gehört
zu den ersten und wichtigsten Aufgaben des
Missionars und des Kolonisators. Um dieses Ziel
zu erreichen, genügt es nicht, ein Schutzgebiet
mit Waffengewalt zu erobern und den Ein-
geborenen den Willen des Eroberers aufszu-
zwingen. Wir müssen die neue Welt, die wir mit
ihrer anders gearteten Menschheit in Besitz
nehmen, uns auch geistig zu eigen machen; wir
müssen uns bestreben, den Eingeborenen innerlich
zu erfassen und ihm näher zu kommen, wir müssen
ihn begreifen lehren, warum wir von ihm eine
Abkehr von seinen bisherigen Lebensgewohn-
heiten verlangen, er muß verstehen, daß es Güte
ist und nicht Härte, wenn wir ihn zwingen, auf
ihm Liebgewordenes zu verzichten.
Um die Eingeborenen leiten zu können, müssen
wir ihre Sitten, Gewohnheiten, ihre Rechtsver-
hältnisse eingehend studieren, wir müssen ihre
Welt kennen lernen, wir müssen die Welt so
kennen lernen, wie sie sich in den Köpfen der
Menschen abspiegelt, die Jahrhunderte abseits vom
Schatten der Kultur gelebt haben. Erst wenn
man unterscheiden gelernt hat, was dem Einge-
borenen lieb und wert ist, was ihm als heilig
oder profan gilt, was er für dumm und klug
hält, was ihm als gut und was als böse er-
scheint, erst wenn man weiß, warum er dieses
als wichtig, jenes als Lappalie auffaßt, erst dann
versteht man seine Gedanken, und erst dann kann
man den Argumenten seiner Logik begegnen.
Ungebildete Leute werden sich zunächst schlecht
mit den Eingeborenen verstehen, weil sie sich in
fremde Gedanken nicht hineinfinden können und
weil sie den Eingeborenen lediglich als corpus vile
für ihre Erwerbsabsichten ansehen. Aus diesen
Kreisen stammen auch die unfreundlichen Anreden
für unsere farbigen Schutzgenossen, wie Nigger,
Kanaker, Kuli!
Meine Damen und Herren! Ich habe als
Gouverneur über zehn Jahre mit und unter den
Eingeborenen der Samoa-Inseln gelebt und habe
Jahre meines Lebens dem Studium der Ein-
geborenen gewidmet. Bei dem selbstverständlichen
Wunsch unserer Regierung, für unser deutsches
Vaterland Vorteile aus den Kolonien zu ziehen,
habe ich nie vergessen, daß unsere Kolonien die
Heimat sind von Menschen, denen wir unseren
Schutz versprochen haben, für die wir sorgen
müssen. Diesen Standpunkt habe ich als Gou-
verneur meinen Beamten eingeschärft und habe
ihn später als verantwortlicher Leiter unserer
Kolonialverwaltung für sämtliche deutschen Kolo-
nien als Leit= und Grundsatz aufgestellt. Es ist
aber praktisch nicht viel gewonnen, wenn man
die Aufgaben des Kolonisators deduktiv aus dem
Rechtsverhältnisse zwischen Kolonie und Mutter-
land und aus den Postulaten der christlichen
Weltanschauung herleitet. Wer nicht jahrelang
unter den Eingeborenen gelebt und Anteil ge-
nommen hat an ihren Leiden und Freuden,
wessen Herz nicht für sie schlägt und wer nicht
das Gefühl der Nächstenliebe auch für tiefer-
stehende, anders denkende und fühlende Menschen
empfindet, der wird die Freudigkeit und Be-
geisterung nie verstehen, mit der der berufene
Kolonisator und Missionar an seine Arbeit geht.
In diesem Zusammenhang wird Ihnen der Sinn
der Worte klar werden, die ich im Reichstag und
in öffentlichen Reden wieder und wieder aus-
gesprochen habe: Kolonisieren ist Missionieren!
Das Thema der Eingeborenen-Behandlung ist
für die Mission so wesentlich, daß ich Sie bitte,
noch etwas dabei verweilen und Ihnen einige
Beispiele von den krausen Gedankengängen der
Eingeborenen geben zu dürfen, die ich selbst in
Samoa erlebt und beobachtet habe. Dabei bitte
ich Sie zu bedenken, daß die Polynesier, zu denen
die Samoaner gerechnet werden, zu den fort-
geschrittensten der farbigen Rassen gehören und
daß die Samoaner seit Jahrzehnten Christen sind.
Aber um so charakteristischer zeigt sich an ihnen,
wie tief das Heidentum auch nach der Bekehrung
in seinen einstigen Bekennern wurzelt.
In der Stadt Leulumoega auf der Insel Upolu
war einst ein Aufstand, weil ein Samoaner die
Schale einer Schildkröte ohne Erlaubnis der
Häuptlinge an einen Händler geschenkt hatte. —
Bei einer zeremoniellen Essensdarbringung an