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Kolonialmacht zu sein. Dieses Recht hatte sich
Deutschland vor dem Kriege erworben. Die
Befreiergeste, mit der die Annexrion
der deutschen Kolonien als ein gott-
gewolltes Werk plausibel gemacht wird,
ist Blasphemie. Es erscheint Balfour etwas
Selbstverständliches, den Raubinstinkt der engli-
schen Imperialisten moralisch zu rechtfertigen. Es
ist ihm so selbstverständlich, daß er nicht merkt,
wie lächerlich es wirkt, in einem Atem das Stre-
ben Deutschlands nach der allgemeinen Vorherr=
schaft zu brandmarken und für sein Land ein
offenes Bekenntnis zur unverschleierten Annexions=
politik in Afrika und Asien abzulegen.
Am Schluß der Rede des englischen Staats-
ministers des Auswärtigen steht der Satz, der
Abgrund zwischen den Zentralmächten und den
Alliierten sei so tief, daß er nicht überbrückt
werden könne. Herr Balfour kann weitergehen
und für sich in Anspruch nehmen, daß er diesen
Abgrund noch vertieft hat. Lassen Sie mich
Ihnen ein Zitat aus Kants Schrift zum ewigen
Frieden anführen, Worte, die wie ein schwerer
Vorwurf auf der ganzen Welt lasten:
„Irgendein Vertrauen auf die Denkungsart
des Feindes muß mitten im Kriege noch übrig-
bleiben, weil sonst auch kein Friede abgeschkossen
werden könnte und die Feindseligkeiten in einen
Ausrottungskrieg ausschlagen würden.“
Sehen Sie, meine Herren, die Gesinnung
des Ausrottungskrieges zu erhalten, das
gerade ist der Zweck solcher Reden, wie die
des Herrn Balfour. FIrgendwann muß doch
einmal zwischen Volk und Volk so etwas auf-
keimen wie eine Regung von Vertrauen. Irgend-
wamn muß sich die vergewaltigte menschliche
Natur aufbänmen gegen jene Irrlehre des Hasses,
die in ihr die tiesinnerste Gemeinsamkeit der
Menschen zu ersticken droht. Diese NReaktion
fürchtet Balfonr, und das ist es gerade, warum
er seine Anklage nicht allein gegen die deutsche
Regierung richtet, sondern gegen das deutsche
Volk selbst und sein eigenstes Wesen.
Meine Herren! Die psychologische Sitnation,
aus der heraus der britische Staatsmann handelt,
ist klar: Die Feinde wollen keinen Frieden durch
Verhandlungen. Noch einmal geht ein Wille des
libermutes durch ihre Bölker, wie nach dem Ein-
tritt Italiens, wie nach dem Eintritt Rumäniens,
wie nach jedem vorübergehenden politischen oder
militärischen Erfolge, und schon sind wieder die
alten Kriegsziele bei der Hand, die in den noch
nicht gekündigten Geheimverträgen so deutlich
sestgelegt sind. Der Ententekrieg geht heute
wiederuim um Ranb und Ruhm. Aus diesem
Tatbestand ergibt sich klar die Schlußfolgerung:
Wir müssen die Balfoursche Rede hin-
nehmen als einen Aufruf an das deutsche
Volk, im fünften Kriegsjahre von neuem
alle seine Kräfte des Leidens, Kämpfens
und Siegens zusammenzuraffen, wie in
der großen Erhebung vom August 1914.
Eine weitere Schlußfolgerung scheint sich zu er-
geben: Sollen wir gefühlsmäßig reagieren, sollen
wir uns ebenfalls auf den Boden des Vernichtungs-
willens, der Knock-out-Politik stellen und mit allen
jenen Zielen brechen, hinter denen der Gedanke
der Bölkerversöhnung steht, nur deswegen, weil
den Feinden die Grundlage der notwendigen Ge-
sinnung fehlt?
Meine Herren! Ich lehne diese Politik ab.
Sie wäre die denkbar größte Erleichterung des
feindlichen Krieges, wir würden uns die Gesetze
des politischen Handeluns vom Gegner dilktieren
lassen. Lassen wir uns durch Herrn Balfour
nicht täuschen! Balfour wehrt sich mit scharfem
Blick gegen eine drohende, wenn auch noch weit
entjernte Friedensmöglichkeit. Wenn die feind-
lichen Diplomaten vor dem Kriege so wachsam
sich gegen den drohenden Krieg gewehrt hätten,
wie heute gegen den drohenden Frieden, weiß
Gott, meine Herren, dann hätte es keinen Welt-
krieg gegeben. Meine Herren! In allen Ländern
gibt es heute Gruppen und Menschen, die man
als Zentren des europäischen Gewissens bezeichnen
kann. Denken Sie nicht an einzelne Namen,
weder bei uns noch in Feindesland. In diesen
Zemtren regt sich so etwas wie eine Erkenntnis,
daß der Weg ins Freie nur gefunden
werden kann, wenn die kriegführenden
Nationen in dem Bewußtsein ihrer ge-
meinsamen Aufgaben zurückerwachen.
Wie vermeiden wir künftige Kriege? Wie er-
zielen wir die Wirksamkeit internationaler Ab-
machungen auch bei einem neuen Kriege? Wie
stellen wir die Nichtkombattanten sicher? Wie er-
sparen wir es den neutralen Staaten in Zukunft,
daß sie für ihre Friedfertigkeit büßen müssen?
Wie schützen wir nationale Minderheiten? Wie
regeln wir unsere gemeinsame Ehrenpflicht gegen-
über den minderjährigen Rassen dieser Welt?
Meine Herren! Das sind alles breunende
Menschheitsfragen. Hinter ihnen steht die
Stimmung von Millionen, hinter ihnen steht un-
sägliches Lrid, stehen unerhörte Erlebnisse. Gerade
unter den Kämpfern, unter denen, die gefallen
sind, in allen Ländern, unter denen, die Kraft,
Gesundheit oder Lebensfreude verloren haben, hat
es Tausende gegeben, Tausende, denen das Opfer
leicht fiel, weil sie den Glauben nicht verloren
hatten, daß aus dem angesammelten Leid, aus
all der Not und Qnal eine bessere Welt erstehen