Full text: Deutsches Kolonialblatt. XXVIX. Jahrgang, 1918. (29)

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Kolonialmacht zu sein. Dieses Recht hatte sich 
Deutschland vor dem Kriege erworben. Die 
Befreiergeste, mit der die Annexrion 
der deutschen Kolonien als ein gott- 
gewolltes Werk plausibel gemacht wird, 
ist Blasphemie. Es erscheint Balfour etwas 
Selbstverständliches, den Raubinstinkt der engli- 
schen Imperialisten moralisch zu rechtfertigen. Es 
ist ihm so selbstverständlich, daß er nicht merkt, 
wie lächerlich es wirkt, in einem Atem das Stre- 
ben Deutschlands nach der allgemeinen Vorherr= 
schaft zu brandmarken und für sein Land ein 
offenes Bekenntnis zur unverschleierten Annexions= 
politik in Afrika und Asien abzulegen. 
Am Schluß der Rede des englischen Staats- 
ministers des Auswärtigen steht der Satz, der 
Abgrund zwischen den Zentralmächten und den 
Alliierten sei so tief, daß er nicht überbrückt 
werden könne. Herr Balfour kann weitergehen 
und für sich in Anspruch nehmen, daß er diesen 
Abgrund noch vertieft hat. Lassen Sie mich 
Ihnen ein Zitat aus Kants Schrift zum ewigen 
Frieden anführen, Worte, die wie ein schwerer 
Vorwurf auf der ganzen Welt lasten: 
„Irgendein Vertrauen auf die Denkungsart 
des Feindes muß mitten im Kriege noch übrig- 
bleiben, weil sonst auch kein Friede abgeschkossen 
werden könnte und die Feindseligkeiten in einen 
Ausrottungskrieg ausschlagen würden.“ 
Sehen Sie, meine Herren, die Gesinnung 
des Ausrottungskrieges zu erhalten, das 
gerade ist der Zweck solcher Reden, wie die 
des Herrn Balfour. FIrgendwann muß doch 
einmal zwischen Volk und Volk so etwas auf- 
keimen wie eine Regung von Vertrauen. Irgend- 
wamn muß sich die vergewaltigte menschliche 
Natur aufbänmen gegen jene Irrlehre des Hasses, 
die in ihr die tiesinnerste Gemeinsamkeit der 
Menschen zu ersticken droht. Diese NReaktion 
fürchtet Balfonr, und das ist es gerade, warum 
er seine Anklage nicht allein gegen die deutsche 
Regierung richtet, sondern gegen das deutsche 
Volk selbst und sein eigenstes Wesen. 
Meine Herren! Die psychologische Sitnation, 
aus der heraus der britische Staatsmann handelt, 
ist klar: Die Feinde wollen keinen Frieden durch 
Verhandlungen. Noch einmal geht ein Wille des 
libermutes durch ihre Bölker, wie nach dem Ein- 
tritt Italiens, wie nach dem Eintritt Rumäniens, 
wie nach jedem vorübergehenden politischen oder 
militärischen Erfolge, und schon sind wieder die 
alten Kriegsziele bei der Hand, die in den noch 
nicht gekündigten Geheimverträgen so deutlich 
sestgelegt sind. Der Ententekrieg geht heute 
wiederuim um Ranb und Ruhm. Aus diesem 
Tatbestand ergibt sich klar die Schlußfolgerung: 
  
Wir müssen die Balfoursche Rede hin- 
nehmen als einen Aufruf an das deutsche 
Volk, im fünften Kriegsjahre von neuem 
alle seine Kräfte des Leidens, Kämpfens 
und Siegens zusammenzuraffen, wie in 
der großen Erhebung vom August 1914. 
Eine weitere Schlußfolgerung scheint sich zu er- 
geben: Sollen wir gefühlsmäßig reagieren, sollen 
wir uns ebenfalls auf den Boden des Vernichtungs- 
willens, der Knock-out-Politik stellen und mit allen 
jenen Zielen brechen, hinter denen der Gedanke 
der Bölkerversöhnung steht, nur deswegen, weil 
den Feinden die Grundlage der notwendigen Ge- 
sinnung fehlt? 
Meine Herren! Ich lehne diese Politik ab. 
Sie wäre die denkbar größte Erleichterung des 
feindlichen Krieges, wir würden uns die Gesetze 
des politischen Handeluns vom Gegner dilktieren 
lassen. Lassen wir uns durch Herrn Balfour 
nicht täuschen! Balfour wehrt sich mit scharfem 
Blick gegen eine drohende, wenn auch noch weit 
entjernte Friedensmöglichkeit. Wenn die feind- 
lichen Diplomaten vor dem Kriege so wachsam 
sich gegen den drohenden Krieg gewehrt hätten, 
wie heute gegen den drohenden Frieden, weiß 
Gott, meine Herren, dann hätte es keinen Welt- 
krieg gegeben. Meine Herren! In allen Ländern 
gibt es heute Gruppen und Menschen, die man 
als Zentren des europäischen Gewissens bezeichnen 
kann. Denken Sie nicht an einzelne Namen, 
weder bei uns noch in Feindesland. In diesen 
Zemtren regt sich so etwas wie eine Erkenntnis, 
daß der Weg ins Freie nur gefunden 
werden kann, wenn die kriegführenden 
Nationen in dem Bewußtsein ihrer ge- 
meinsamen Aufgaben zurückerwachen. 
Wie vermeiden wir künftige Kriege? Wie er- 
zielen wir die Wirksamkeit internationaler Ab- 
machungen auch bei einem neuen Kriege? Wie 
stellen wir die Nichtkombattanten sicher? Wie er- 
sparen wir es den neutralen Staaten in Zukunft, 
daß sie für ihre Friedfertigkeit büßen müssen? 
Wie schützen wir nationale Minderheiten? Wie 
regeln wir unsere gemeinsame Ehrenpflicht gegen- 
über den minderjährigen Rassen dieser Welt? 
Meine Herren! Das sind alles breunende 
Menschheitsfragen. Hinter ihnen steht die 
Stimmung von Millionen, hinter ihnen steht un- 
sägliches Lrid, stehen unerhörte Erlebnisse. Gerade 
unter den Kämpfern, unter denen, die gefallen 
sind, in allen Ländern, unter denen, die Kraft, 
Gesundheit oder Lebensfreude verloren haben, hat 
es Tausende gegeben, Tausende, denen das Opfer 
leicht fiel, weil sie den Glauben nicht verloren 
hatten, daß aus dem angesammelten Leid, aus 
all der Not und Qnal eine bessere Welt erstehen
	        
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