Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Erster Band. (1)

& 16. Die Rechte der Reichsangehörigen. 157 
gewöhnlich sagt, die politischen Rechte. Dieselben sind aber keine 
subjektiven Rechte gegen den Staat, sondern Bestandteile der Ver- 
fassung des Staates selbst; sie sind Reflexe der objektiven Ordnung 
des öffentlichen Rechts, die sich mit einer Aenderung des letzteren von 
selbst ändern; sie sind Funktionen, zu deren Ausübung gewisse Klassen 
von Staatsangehörigen berufen werden. Die Staatsangehörigkeit ist nur 
gewöhnlich (nicht immer) eine der Voraussetzungen für die Ausübung 
dieser Funktionen, zu welcher auch noch andere Voraussetzungen, na- 
mentlich männliches Geschlecht, ein bestimmtes Alter, Unbescholten- 
heit, eine bestimmte Steuerleistung, Aufenthalt oder Wohnsitz von be- 
stimmter Dauer u. dgl. hinzutreten'). 
Da das Reich, wie oben bereits ausgeführt worden ist, seine eigenen 
Organe zur Herstellung und Ausführung seines Willens hat, d. h. Or- 
gane, die nicht Organe der Einzelstaaten, sondern dem Reiche unmit- 
telbar angehören; da insbesondere der Reichstag keine Delegiertenver- 
sammlung der Einzellandtage oder der Bevölkerung der Einzelstaaten 
ist, so ist auch die Teilnahme an der Reichstagswahl unmittelbar auf 
die Reichsangehörigkeit gegründet, und die Ausübung dieser Funktion 
ist an keine territoriale Landesgrenze innerhalb des Reiches gebunden. 
Ebenso ist das sogenannte passive Wahlrecht oder richtiger die Quali- 
fikation zum Reichstagsmitglied im ganzen Reich durch die Reichsan- 
gehörigkeit gegeben. In Preußen, Sachsen, Bayern ist nicht bloß der 
Preuße, Sachse oder Bayer, sondern jeder Deutsche zur Teilnahme an 
den Reichstagswahlen berufen und wählbar’). 
4. Regelmäßig wird ferner zu den staatsbürgerlichen oder politischen 
Rechten auch die Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Aemter gezählt. 
Allein dies ist ebenfalls kein Recht im subjektiven Sinn, denn niemand 
hat einen Anspruch darauf, im Staatsdienst angestellt zu werden und 
ein Öffentliches Amt zu erhalten?®. Es handelt sich vielmehr auch 
hier lediglich um einen objektiven Rechtssatz, welcher die Voraus- 
setzungen betrifft, an welche die Qualifikation der Personen, die im 
Staatsdienst Verwendung finden dürfen, geknüpft ist. Nicht ein sub- 
jektives Recht des einzelnen Staatsangehörigen, sondern eine objektiv- 
rechtliche Schranke der Staatsregierung wird durch den Rechtssatz, 
daß nur Staatsangehörige im Staatsdienst angestellt werden dürfen, be- 
gründet. In die Lehre vom Staatsbürgerrecht gehört dieser Satz daher 
keinesfalls. Für das Reichsrecht besteht er aber überhaupt nicht; die 
Reichsregierung ist nicht gehindert, Ausländer in den Reichsdienst zu 
berufen. Im Gegenteil bestimmt das Gesetz vom I. Juni 1870 aus- 
drücklich, daß der Ausländer durch seine Anstellung im Reichsdienst 
die Staatsangehörigkeit (mithin auch das Reichsbürgerrecht) in dem- 
— 
1) Ueber die juristische Natur des „Wahlrechts“ siehe unten $ 34, VIL. 
2) Vgl. unten $ 32 und 8 34. 
3) Richtig hervorgehoben im verfassunggeb. Reichstage von dem hessischen Bun- 
deskommissar Hofmann (Stenogr. Berichte 244).
	        
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