Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Erster Band. (1)

8 17. Das Staatsbürgerrecht im Einzelstaat. 159 
der Lage ist, diesen Schutz zu gewähren. Die einzelnen Staaten können 
sowohl im Reichsauslande als im Reichsinlande bei den anderen Bun- 
desstaaten Gesandtschaften halten, was bekanntlich auch teilweise ge- 
schieht. Denselben liegt die Vertretung der Privatinteressen ihrer 
Staatsangehörigen ob. Dieser Schutz kann verwirklicht werden teils durch 
eine direkte Reklamation bei der Regierung des auswärtigen oder ver- 
bündeten Staates, teils durch eine Anregung bei der Zentralbehörde 
des Reiches, daß dasselbe sich des Angehörigen des reklamierenden 
Einzelstaates annehme, teils durch eine förmliche Beschwerde einer 
Bundesregierung bei dem Reich, wenn ein Einzelstaat zum Nachteil 
der Angehörigen eines anderen Anordnungen der Reichsverfassung 
oder anderer Reichsgesetze verletzt. 
3. Das Recht der Angehörigen jedes Staates, in dem Gebiet 
desselben und unterseinemSchutzleben zu dürfen, 
besteht prinzipiell fort, ist aber durch das jedem Reichsangehörigen 
eingeräumte Wohnrecht im ganzen Reichsgebiete in einigen Fällen 
modifiziert worden!). Inbesondere kann ein Staatsangehöriger, der in 
einem anderen Bundesstaat den Unterstützungswohnsitz erworben hat 
und dann in hilfsbedürftigem Zustande in seinen Heimatstaat zurück- 
kehrt, zum Zweck seiner Verpflegung an den verpflichteten Armenver- 
band ausgewiesen werden ’?). 
— 
1) Die Bestimmung im Freizügigkeitsgesetz vom 1. November 1867, 
& 3, Abs. 2 läßt ihrer Fassung nach die Deutung zu, daß Personen, welche in einem 
Bundesstaate polizeilichen Aufenthaltsbeschränkungen unterliegen oder wegen wieder- 
holten Bettelns oder wegen wiederholter Landstreicherei innerhalb der letzten 12 
Monate bestraft worden sind, in jedem anderen Bundesstaate, also auchin 
ihrem Heimatsstaate, der Aufenthalt verweigert werden dürfe. In dieser 
Weise ist das Gesetz auch in den ersten beiden Auflagen dieses Werkes ausgelegt 
worden. Von Vogt, in der Jurist. Zeitschrift für Elsaß-Lothringen Bd. 14 (1889), 
S. 414 ff., ist aber überzeugend dargetän worden, daß nach der Absicht des Gesetzgebers 
diese Bestimmung dahin zu verstehen ist, daß der Aufenthalt in dem Heimats- 
staate nicht versagt werden darf, und daß die Fassung des Gesetzes auf einem 
Redaktionsversehen beruht. Diese Auslegung ist anerkannt und mit anderen Gründen 
unterstützt und gerechtfertigt worden von Seydel in Hirths Annalen 18%, S. 173 £f. 
und von E. Mayer ebenda S. 561 ff. In einem Rundschreiben des Reichsamts 
des Innern vom 19. Juli 1883 wird die Beschränkung, daß keinem Bundesstaate 
die Befugnis zur Ausweisung der eigenen Staatsangehörigen zusteht, für selbstver- 
ständlich erklärt. Durch einen Plenarbeschluß des Bundesrats vom 9. Juni 1894 zur 
Auslegung von 83, Abs. 2 zit. (bei Cahn S. 60) haben sich endlich die Bundesregie- 
rungen dahin geeinigt, daß Personen der Aufenthalt in einem Bundesstaate nicht 
verweigert werden darf, wenn sie in diesem Staate die Staatsangehörigkeit oder einen 
Unterstützungswohnsitz (Heimatsrecht) besitzen, und daß bei dem Vorhandensein 
dieser Voraussetzung die Uebernahme eines Ausgewiesenen von den Behörden eines 
Bundesstaates nicht verweigert werden darf. Reger, Bd. 14, S. 41fg.; Cahn 
(3. Aufl.) S. 58ff. Dadurch ist diese Streitfrage erledigt. 
2) Freizügigkeitsgesetz $ 5. Unterstützungswohnsitzgesetz $ 31 und $ 5öff. — 
Das Gesetz über den Unterstützungswohnsitz ist in Bayern nicht eingeführt wor- 
den. Im Verhältnis zwischen Bayern und dem übrigen Bundesgebiet ist nach dem 
Schlußprotokoll vom 23. November 1870, Ziff. 2 der Gothaer Vertrag vom 15. Juli
	        
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