160 8 17. Das Staatsbürgerrecht im Einzelstaat.
Vor allem wichtig aber ist der im $ 25 des Gesetzes über
dieGewährung der Rechtshilfe vom 21. Juni 1869 ausge-
sprochene Grundsatz, daß ein Bundesstaat seine eigenen Angehörigen
den Gerichten eines anderen Bundesstaates zum Zweck der Verfolgung
oder Bestrafung wegen einer im Gebiete des requirierenden Bundesstaates
verübten, strafbaren Handlung auszuliefern verpflichtet ist. Hier
ist. im Interesse der einheitlichen Strafrechtspflege im Reich die Kraft
des Staatsbürgerrechts in den Einzelstaaten völlig gebrochen !).
4. Die Fortdauer der Staatsangehörigkeit in den Einzelstaaten zeigt
sich besonders deutlich und wirksam hinsichtlich der sogenannten po-
litischen Rechte. In Beziehung auf das politische Sonderleben der
1851 nebst der Eisenacher Uebereinkunft vom 11. Juli 1853 in Geltung geblieben.
Daher kann Bayern seine Staatsangehörigen nicht an den Armenverband eines an-
dern Staates ausweisen; dagegen können bayerische Staatsangehörige, welche in einem
deutschen Staat den Unterstützungswohnsitz erworben haben, wegen dauernder
Hilfsbedürftigkeit von diesem Staat nicht ausgewiesen werden. Dies würde mit
dem im ganzen Reichsgebiet geltenden Freizügigkeitsgesetz im Widerspruch stehen.
Vgl. H. Otto in Hirths Annalen 1901 S. 355 fg. Auch auf Grund des Jesuitenge-
setzes v. 4. Juli 1872 $ 2 und des Sozialistengesetzes v. 21. Oktober 1878 83 22 u. 28
konnte der Aufenthalt im Heimatsstaate versagt werden; diese Gesetze sind aber
nicht mehr in Geltung.
1) Vgl. v. Martitz, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen I, S. 240. Es
ergibt sich hier eine, durch die Fassung des $ 25 des gedachten Gesetzes hervorge-
rufene, schwierige Frage. Nach dem $ 25 findet nämlich „bis zum Erlasse eines ge-
meinsamen Strafgesetzbuchs“ die Auslieferung in einer Reihe von Fällen nicht statt,
insbesondere nach Nr. 2, wenn die Handlung nach den Gesetzen des Staates, in des-
sen Gebiete der Beschuldigte oder Verurteilte sich befindet, nicht mit Strafe bedroht
ist. Es frägt sich nun, ob seit dem Erlaß des Strafgesetzbuchs die Auslieferung auch
verlangt werden kann, wenn die Handlung nicht nach dem Strafgesetzbuch und eben-
sowenig nach den Landesgesetzen des requirierten Staates, sondern nur nach den
Landesgesetzen desrequirierenden Staates strafbar ist. Faßt man
die Worte „bis zum Erlasse eines gemeinsamen Strafgesetzbuchs“ als eine bloße
Feststellung eines fixen terminus ad quem, ohne auf den Grund dieser Bestimmung
zu achten, so wäre die Auslieferungspflicht mit dem Tage des Inkrafttretens eine un-
beschränkte geworden. Geht man aber davon aus, daß der Sinn der Bestimmung der
ist, daß kein Staat Personen zum Zweck der Bestrafung ausliefern soll, denen eine
nach dem Recht dieses Staates strafbare Handlung nicht zur Last fällt, so haben die
Worte: „bis zum Erlasse eines gemeinsamen Strafgesetzbuchs« den Sinn: „so lange
das materielle Strafrecht in den Bundesstaaten nicht einheitlich normiert ist“. Bei
dieser Auslegung besteht daher die Bestimmung des $ 25, Ziff. 2 noch in Kraft hin-
sichtlich derjenigen Materien, welche das Reichsstrafgesetzbuch nicht einheitlich ge-
regelt hat und hinsichtlich deren die Einzelstaaten die strafrechtliche Autonomie be-
halten haben. Die Auslieferung könnte daher nur gefordert werden, wenn die Hand-
lung sowohl nach dem Landesgesetz des requirierenden, als auch nach dem Landes-
gesetz des requirierten Staates strafbar ist. — Für das Gebiet der ordentlichen
Gerichtsbarkeit sind jetzt die Vorschriften des Gerichtsverfassungsgesetzes an die
Stelle des Gesetzes vom 21. Juni 1869 getreten, welche nicht auf dem internatio-
nalen Prinzip der Auslieferung, sondern auf dem staatsrechtlichen Grundsatz be-
ruhen, daß die Gerichtsbarkeit jedes Einzelstaates sich auf das ganze Bundesge-
biet erstreckt. Ueber $ 163 des Gerichtsverfassungsgesetzes siehe Bd. 3, $ 87,
I, Ziff. 4.