Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Zweiter Band. (2)

5 54. Der Begriff und die Erfordernisse des Gesetzes. 17 
Hieraus folgt, worin das wahre Wesen der königlichen Ausfertigung 
besteht. Sie ist nur scheinbar die Erteilung der Sanktion und be- 
zweckt nicht die Kundmachung der Bill, sondern sie konstatiert in 
authentischer und feierlicher Form das verfassungsmäßige Zustande- 
kommen des Gesetzes, sie ist die solemnis editio legis. 
Von größerem Einfluß auf das gegenwärtige konstitutionelle Staats- 
recht Deutschlands ist die Entwicklung des französischen Rechts 
gewesen, welche deshalb einer genaueren Erörterung bedarf. 
Vor der Revolution von 1789 ging sowohl die Sanktion als die 
Erklärung des Gesetzes vom Könige aus, die Verkündigung dagegen 
war Sache der Gerichtshöfe (Parlamente). Gemäß der Ordonnanz von 
1667, Titel I, Art. 2 wurden die königlichen Ausfertigungen der Gesetze 
und Verordnungen den »souveränen Gerichtshöfen« zur Registrierung 
und Verkündigung übersendet. Das Enregistrement führte keine Be- 
kanntschaft des Publikums mit dem Gesetze herbei; es bestand darin, 
daß das Gesetz in die Liste des Gerichtshofes eingetragen wurde; es 
konstatierte die Echtheit der königlichen Urkunde und den Wortlaut 
des in ihr enthaltenen Gesetzes; es wird von Portalis ganz richtig 
als verification des lois bezeichnet ',, Die Verkündigung erfolgte nach 
geschehener Einregistrierung auf Befehl des Parlaments in den ein- 
zelnen Ortschaften durch Verlesen, Aushang usw. Auch die Gesetz- 
gebung von 1789 ließ zunächst die Registrierung und Verkündigung 
der Gesetze durch die Gerichtshöfe bestehen; die Gesetze vom 20. Ok- 
tober und 5. November 1789 beseitigten nur die Mißbräuche, welche 
sich in die Praxis der Gerichte eingeschlichen hatten, indem sie an- 
ordneten, daß die von der Nationalversammlung beschlossenen De- 
krete, sobald sie die Sanktion des Königs erhalten haben, ohne Zusatz, 
Veränderung oder Anmerkung den Behörden zum Zweck der Ein- 
tragung in die Listen und zur Verkündigung zu übersenden seien, 
und daß die Gerichts- und Verwaltungsbehörden, welche nicht binnen 
drei Tagen nach Empfang der Gesetze sie eintragen und sie binnen 
einer Woche verkündigen lassen, als pr&varicateurs und wegen forfai- 
ture bestraft werden sollen. Die formelle und authentische Erklärung 
des Gesetzes verblieb dagegen Sache des Königs; das Gesetz vom 9. No- 
vember 1789 bezeichnet diesen Akt als de Promulgation des Ge- 
setzes, indem es denselben scharf von der Publikation desselben 
unterscheidet. 
So lange das Königtum und das — wenigstens scheinbare — Recht 
desselben zur Sanktion der Gesetze bestand, fiel die Promulgation 
äußerlich mit der Sanktion zusammen’). Seit der Unterdrückung 
1) Second Expose des motifs du Titre preliminaire du Code civil bei Locre, 
La Legislation de la France 1, p. 569 sg. 
2) Zur Promulgation gehört die Konstatierung, daß die Nationalversammlung das 
Gesetz beschlossen und der König dasselbe genehmigt habe. Die in dem Gesetz vom 
9. November 1789 vorgeschriebene Formel lautet: Louis, par la Gräce de Dieu...
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.