Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Zweiter Band. (2)

80 8 57. Die Wirkungen der Reichsgesetze. 
fangstermin seiner Geltung weder bestimmt noch die Bestimmung 
desselben vorbehalten, so beginnt die verbindliche Kraft des Gesetzes 
mit dem vierzehnten Tage nach dem Ablauf desjenigen Tages, an 
welchem das betreffende Stück des Reichsgesetzblattes in Berlin aus- 
gegeben worden ist.: Reichsverfassung Art. 2 a. E. Aus dieser Ver- 
fassungsbestimmung ergeben sich zunächst zwei Folgen, nämlich, daß 
auf jedem Stück des Reichsgesetzblattes der Tag angegeben sein muß, 
an welchem die Ausgabe desselben in Berlin erfolgt ist!), und ferner, 
daß jedes Gesetz, dessen Geltungstermin sich nach Art. 2 der Reichs- 
verfassung bestimmt, mag es noch so umfangreich sein, in Einem Stück 
des Reichsgesetzblattes vollständig abgedruckt werden muß. 
Im Uebrigen aber gibt diese Bestimmung der Reichsverfassung 
noch zu folgenden Erörterungen Anlaß: 
1. Das Motiv, aus welchem der Anfang der rechtsverbindlichen 
Kraft eines Reichsgesetzes um einen Zeitraum von vierzehn Tagen 
nach der Verkündigung hinausgeschoben wird, ist zweifellos darin zu 
suchen, daß die allgemeine Kundbarkeit des Reichsgesetzes und zwar 
sowohl seines Wortlautes als der Tatsache seiner Verkündigung ermög- 
licht werden soll, bevor das Gesetz in Kraft tritt. Die Form der Ver- 
kündigung durch die Presse dient ja vorzugsweise dem Zweck, das 
Gesetz allgemein bekannt zu machen; dieser Zweck wird durch den 
Abdruck selbst noch nicht erreicht, sondern erst durch die Verbrei- 
tung des Abdruckes. Aber man darf dieses Motiv eines Rechtssatzes 
nicht selbst zum Rechtssatz erheben; Gemeinkundigkeit eines 
Gesetzesistin keiner Beziehung eine Voraussetzung 
seiner Gültigkeit. 
Der Art. 2 der Reichsverfassung stellt keine Fiktion auf, daß nach 
Ablauf der vierzehntägigen Frist das Reichsgesetz allgemein bekannt 
sei?). Durch eine Vergleichung des Art. 1 des Code civil, welcher das 
Vorbild für die ähnlichen Anordnungen der deutschen Landesgesetz- 
gebungen geliefert hat, wird die Tragweite dieses Satzes deutlich. Der 
französische Gesetzgeber ging von der Anschauung aus, daß die Ge- 
setze nicht verpflichten können, ohne bekannt zu sein; da man sie 
aber nicht jedem Einzelnen bekannt machen könne, so sei man ge- 
mung des Bundesrates erlassene kaiserliche Verordnung, welche mindestens drei 
Monate vor dem Eintritt des Zeitpunktes zu verkündigen ist. Vgl. Unfallversiche- 
rungsgesetz $ 111 (Reichsgesetzbl. 1884, S. 109); Reichsgesetz vom 28. Mai 1885, 8 17 
(Reichsgesetzbl. S. 164). 
1) Es ist dies ausdrücklich vorgeschrieben in der Verordnung vom 26. Juli 1867, 
8 2 (Bundesgesetzbl. S. 24). Die Verantwortlichkeit des Reichskanz- 
lersfürden Inhalt des Reichsgesetzblatteserstrecktsich auch 
aufdiesen Vermerk. 
2) Diese Theorie findet sich bei Böhlau, Mecklenb. Landrecht 1, S. 415 ff. Er 
nimmt an, daß Gemeinkundigkeit zur Vollendung der Publikation gehöre, und daß 
im Art. 2 der Reichsverfassung eine Fiktion aufgestellt werde, deren Gegenstand 
„die Vollendung des Publikationsaktes“ (?) sei.
	        
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