8 74. Das Eisenbahnwesen. 125
bahnverwaltungen teils bei Aufstellung und Veröffentlichung der Tarife
den für sie bestehenden landesgesetzlichen oder konzessionsmäßigen
Vorschriften genügen, teils bei dem Abschluß der Transportverträge
die bestehenden Tarife innehalten. Eine reichsgesetzliche
Grundlage für die Handhabung dieser Kontrolle fehlt zurzeit; ja die
Anordnung der Verfassung hindert nicht einmal die Einzelstaaten, die
ihnen zustehenden Befugnisse hinsichtlich der Festsetzung oder Ab-
änderung der Tarife aufzuopfern und den Privateisenbahnunterneh-
mern eine größere Freiheit als bisher zu gestatten, und noch viel
weniger, für die Staatseisenbahnen nach Belieben Tarife einzuführen
oder abzuändern. Durch die bloße Kontrolle über das Tarifwesen
wird weder dem Reich irgend ein Zwangsmittel beigelegt, um die Ein-
zelstaaten zu Abänderungen bestehender Tarife und zur Einführung
eines einheitlichen Tarifsystems zu nötigen, noch ein Veto oder Zu-
stimmungsrecht des Reiches zur Veränderung bestehender Tarife be-
gründet. Man trug offenbar und mit Recht bei Abfassung des Art. 45
Bedenken, dem Reiche, welches bei den finanziellen Erträgnissen der
Eisenbahnen gänzlich unbeteiligt war und zur Zeit nur hinsichtlich der
Reichseisenbahnen in Elsaß-Lothringen beteiligt ist, die Befugnis zur
Festsetzung der Tarife einzuräumen, d. h. ihm eine Verfügung über
die Einnahmen der Staatskassen und Eisenbahnaktienvereine zu ge-
währen. Es frägt sich daher, welchen Zweck die Kontrolle des Reiches
über das Tarifwesen hat. Abgesehen nun von der Garanlie gegen
Willkürlichkeiten und Ungesetzlichkeiten der Eisenbahnverwaltungen,
welche durch die Kontrolle des Reiches gegeben ist, sollte dieselbe
eine Handhabe sein, mittelst deren das Reich auf die Fortentwicklung
und Umgestaltung des Tarifwesens einwirken könne; sie sollte dem
Reich einen Einfluß auf die sogenannte Tarifpolitik sichern'). Dies
die Bahnverwaltungen von allen Tariferhöhungen und von allen Einschränkungen der
direkten Expedition an das Reichseisenbahnamt erstatten müssen. Zentralbl. 1875,
S. 79, 657.
1) Bei den Verhandlungen des verfassungsberat. Reichstages von 1867 gab Mini-
ster Delbrück über den Sinn dieses Artikels folgende Erklärung ab: „In dem Ent-
wurfe ist eine Kontrolle der Tarife durch den Bund in Aussicht genommen und der
Gedanke dabei ist der, daß der Ausschuß des Bundesrates, welcher nach Art. 8 des
Entwurfes für das Eisenbahnwesen zu bilden ist, durch die vorliegende Bestimmung
die Befugnis erhält, von den Tarifen Kenntnis zunehmen (!) und
mit der Tendenz, welche in dem weiteren Verlaufe des Art. 42 [45] ausgedrückt
ist, wenn es ihm geeignet scheint, die beteiligten Regierungen zu einer Einwirkung,
soweit sie ihnen gesetzlich zusteht, auf ihre Eisenbahnen im Sinne des Art. 42 [45]
zu veranlassen.“ Der Abgeordnete Michaelis, von welchem die zum Gesetz er-
hobene Fassung herrührt, fügte hinzu, daß er in der Kontrolle der Tarife „durchaus
nicht eine Tätigkeit sehen könne, welche auf einen Zwang gegenüber den einzelnen
Eisenbahnen, ihren Tarif herabzusetzen, hinauslaufen könnte“..... „Daß der Aus-
druck Kontrolle die Bedeutung habe, daß er Zwangsmaßregeln gegen die Eisenbahnen
involviere, das kann ich meinerseits nicht annehmen.“ Stenogr. Berichte des ver-
fassungsberat. Reichstages S. 507. — Vgl. Perrot in Hirths Annalen 1874, S. 1087 ff.