Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Dritter Band. (3)

$ 74. Das Eisenbahnwesen. 133 
als Rechtsnorm; daß sie einen Bestandteil als Eisenbahn- 
frachtvertrages bildet, der unter ausdrücklicher Bezugnahme auf 
sie abgeschlossen wird, ist damit völlig vereinbar. 
selben dienenden Materialien in Widerspruch Auch Reindl, Eisenbahnrechtl. 
Entsch. und Abhandlungen Bd. 17, S. 77, erkennt an, daß weder das Handelsgesetz- 
buch, noch Art. 7, noch Art. 45 der Reichsverfassung den Bundesrat zum Erlaß der 
Verkehrsordnung ermächtigen, nimmt aber an, daß der Bundesrat nach seiner allge- 
meinen Stellung als oberstes Organ des Reichs zum Erlaß von Rechtsvorschriften be- 
fugt sei. Vgl. dagegen oben Bd. 2, $ 58, I. Arndt in der Neuen Preuß. Zeitung 
vom 22. Januar 1901 und in den Preuß. Jahrbüchern Band 104, S. 323 ff. hält den 
Bundesrat durch Art. 45 cit. für ermächtigt, indem er seine schon so oft und gründ- 
lich widerlegte Ansicht, daß zwischen Verwaltungsvorschriften und Rechtsvorschrif- 
ten kein Unterschied bestehe und der Erlaß von Rechtsvorschriften nicht an die Be- 
obachtung der Gesetzesform gebunden sei, wiederholt, ohne sie besser zu begründen. 
Vgl. darüber Bd. 2 S. 89 ff. und mit Rücksicht auf die in Rede stehende spezielle Frage 
Großmann in der Zeitung des Vereins Deutscher Eisenbahnverwaltungen Jahr- 
gang 41 (1901), S. 550. Harburger in der Deutschen Juristenzeitung 1901 S. 58 ff. 
will die Gültigkeit der Verkehrsordnung auf Art. 7, Ziff. 2 cit. stützen und erklärt 
den Umstand, daß der Bundesrat selbst sich nicht auf diesen Verfassungssatz beruft, 
für unerheblich. Da die jetzige Verkehrsordnung aber keine Verwaltungsvorschrift 
ist, so kann die Zuständigkeit des Bundesrats aus Art. 7, Ziff. 2 nicht hergeleitet 
werden. Vgl. Bd. 2S. 97 und oben S. 119fg. (hinsichtlich der Betriebsordnung). Gegen 
Harburger erklärt sich auch Kaufmann in der Deutschen Juristenzeitung 1891, S. 185. 
Der letztgenannte Schriftsteller geht von der Ansicht aus, daß das Handelsgesetzbuch 
die zur Zeit seines Erlasses bestehende Verkehrsordnung im Auge hat und sie 
als Ergänzungsnorm mit Gesetzeskraft ausstattet. Wenn man dies für richtig hält, 
so ergibt sich daraus aber nur, daß der alten Verkehrsordnung die Bedeutung einer 
revisiblen Rechtsnorm beigelegt worden ist und sie gerade deshalb nur im Wege 
der Gesetzgebung abgeändert werden konnte Endlich nehmen einige Schrift- 
steller an, daß das Handelsgesetzbuch „stillschweigend“, „in konkludenter 
Weise“ den Bundesrat zum Erlaß der Verkehrsordnung ermächtigt habe, indem die 
Verkehrsordnung ein nach Bedeutung und Entstehungsart fest umschriebener Begriff, 
eine gegebene Größe, ein rechtsgeschichtlich ganz bestimmter Faktor gewesen sei. 
So Hagena in den Berliner Neuesten Nachrichten vom 25. Dezember 1900; „G.“ in 
der Zeitung des Vereins deutscher Eisenbahnverwaltungen Jahrg. 1900, S. 1537 fg., 
Mode in der Deutschen Juristenzeitung 1904, S. 1085 auch Harburger, Kauf- 
mann und Großmanna.a O. Aber auch dies halte ich für ganz unbegründet. 
Das Handelsgesetzbuch bestimmt allerdings, daß das Eisenbahnfrachtrecht in einer 
Verkehrsordnung seine Ergänzung finden soll, aber es sagt mit keinem Wort, wer 
diese Ergänzung erlassen soll. Das Handelsgesetzbuch enthält Privatrecht und 
will nichts anderes als privatrechtliche Normen geben; die Frage dagegen, 
wer zum Erlaf5 einer Rechtsverordnung zuständig sei, ist eine staatsrechtliche 
und beantwortet sich nach den Grundsätzen der Verfassung. Wenn die juri- 
stische Bedeutung und Rechtskraft der Verkehrsordnung geändert wird, so ändern 
sich auch die staatsrechtlichen Voraussetzungen ihres Erlasses. Daraus, daß das 
Handelsgesetzbuch die Bedeutung der Verkehrsordnung für das Privatrecht ab- 
geändert hat, folgt keineswegs, daß es zugleich die staatsrechtlichen Prinzipien der 
Gesetzgebungskompetenz stillschweigend abgeändert habe und die Regeln, 
welche für den Erlaß der alten Verkehrsordnung maßgebend gewesen sind, auf 
die nach ihrem veränderten juristischen Charakter ganz anderen staatsrechtlichen 
Grundsätzen unterworfene neue Verkehrsordnung für anwendbar erklären wollte. 
Selbst wenn man dies aber gewollt haben sollte, so hat doch dieser Wille im Han- 
delsgesetzbuch keinen Ausdruck gefunden. In vollem Widerspruch mit den Vor-
	        
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