Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Dritter Band. (3)

136 8 74. Das Eisenbahnwesen. 
tung des neuen Tarifsystems beruht daher nicht auf der Autorität des 
Reiches oder dem Beschluß des Bundesrates, sondern auf der Verein- 
barung der deutschen Staats- und Privateisenbahnverwaltungen und auf 
den Rechtsbefugnissen, welche den einzelnen Bundesregierungen auf 
Grund der Landesgesetze oder Konzessionen den Eisenbahnunter- 
nehmern gegenüber zustehen. 
Diese partikuläre und konventionsmäßige Grundlage für die Gel- 
tung des jetzt geltenden Tarifsystems birgt nicht nur die Gefahr in 
sich, daß dasselbe in sehr verschiedener Weise gehandhabt und im 
einzelnen ausgeführt werde, so daß es doch wieder zu neuer Zersplit- 
terung und Verwirrung führen kann, sondern sie läßt auch das Be- 
dürfnis nach einem Organ, von welchem die einheitliche und plan- 
mäßige Weiterbildung und Fortentwicklung des Tarifwesens geleitet 
werde, unbefriedigt. Eine durchgreifende Abhilfe kann auch hier nur 
ein Reichsgesetz gewähren, welches dem Reich festumgrenzte, aber 
wirksame Befugnisse hinsichtlich der Tariffestsetzungen überträgt '). 
3. Nach Art. 46 sind die Eisenbahnverwaltungen mit Ausschluß 
Bayerns verpflichtet, bei eintretenden Notständen, insbesondere 
bei ungewöhnlicher Teuerung der Lebensmittel, für den Transport, 
namentlich von Getreide, Mehl, Hülsenfrüchten und Kartoffeln, zeit- 
weise einen dem Bedürfnisse entsprechenden niedrigen Spezialtarif 
einzuführen. Dieser Spezialtarif wird von dem Kaiser auf Vor- 
schlag des betreffenden Bundesratsausschusses (für Eisenbahnen, Post 
und Telegraphen) festgestellt, darf jedoch nicht unter den niedrigsten 
auf der betreffenden Balın für Rohprodukte geltenden Satz herab- 
gehen. 
V. Im Gegensatz zu der unbestimmten und staatsrechtlich 
wenig belangreichen Kompetenz des Reiches hinsichtlich des Betriebes 
und des Tarifwesens sind dem Reiche im Art.47 der Reichsverfassung 
eingreifende und inhaltsvolle Befugnisse, undzwar auch für Bayern, 
eingeräumt worden. 
»Den Anforderungen der Behörden des Reiches in betreff der Be- 
Denkschrift des Reichseisenbahnamtes vom Januar 1877, I, 9. (Hirtbs Annalen 1877, 
S. 688ff.) Ferner Fischer in v. Holtzendorffs Jahrbuch Bd. 4, S. 456 ff. Die defi- 
nitive Festsetzung der neuen Gütertarife wurde erst auf der Generaltarifkonferenz 
der deutschen Eisenbahnverwaltungen zu Berlin im Februar 1877 vereinbart. Vgl. 
Zeitung des Vereins deutscher Eisenbahnverwaltungen 1877, Nr. 16; v. d. Leyenin 
Schmollers Jahrbuch 1883, S. 508fg; v. Jagemann S. 166 und namentlich Fleck 
im Wörterbuch von Stengel-Fleischmann],S. 601 ff. 
1) Im Jahre 1879 hat die Reichsregierung den Versuch gemacht, den Erlaß eines 
Eisenbahntarifgesetzes herbeizuführen; dieser Versuch hatte aber keinen Erfolg. Da- 
gegen ist seit 1879 durch Schaffung der „Tarifkommission“ und der „Generaltarifkon- 
ferenz“ der deutschen Eisenbahnverwaltungen dafür Sorge getragen, daß die erreichte 
Einheit des Tarifsystems gewahrt und zugleich die den Verkehrsbedürfnissen ent- 
sprechende Fortbildung desselben ermöglicht werde. Vgl. Zeitung des Vereins deut- 
scher Eisenbahnverwaltungen 1878, S. 40, 210, 923, 1191; Eger, Preuß. Eisenbahn- 
recht Bd. 2, S. 249ff. Flecka.a. 0.
	        
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