Full text: Lehrpläne und Lehraufgaben für die höheren Schulen in Preußen von 1901.

80 Lateinisch. 
Obere Stufe. Auf der oberen Stufe ist Ziel die Festhaltung, 
Sicherung und maßvolle Erweiterung des grammatischen Wissens. 
Stilistische Eigentümlichkeiten im Gebrauche der Redeteile sind mit 
Beschränkung auf das besonders Charakteristische und Feststehende zu 
behandeln, Phrasen und synonymische Unterscheidungen, die auf den 
früheren Stufen gelernt sind, zusammenzufassen und zu ergänzen. 
Die Texte für die schristlichen Klassenübersetzungen soll der Lehrer 
in der Regel selbst entwerfen. Sie sind einfach zu halten, müssen aber 
an die Denktätigkeit solche Ansprüche stellen, daß ihre übertragung 
als selbständige Leistung gelten kann. Werden sie an Gelesenes an- 
geschlossen, so ist sorgfältig darauf zu achten, daß die Aufgabe keine 
bloße Gedächtnisübung wird. Statt der schriftlichen Hausarbeiten 
empfiehlt sich im. allgemeinen ein sorgfältig geleitetes mündliches Ülber- 
setzen aus einem Übungsbuche, das sich in grammatisch-stilistischer 
Beziehung auf das Hauptsächliche beschränkt und inhaltlich zur För- 
derung des allgemeinen Lehrzieles (unter Berücksichtigung auch der 
griechischen Geschichte und Kultur) geeignet ist. 
2. Lektüre. Je sicherer der Grund in Wortschatz und Gram- 
matik gelegt ist, um so weniger wird das Lesen durch formale Hinder- 
nisse aufgehalten, und um so mehr können bei der Erklärung die 
sachlichen Gesichtspunkte in den Vordergrund treten. Grammatische 
Erläuterungen sind nur anzustellen, soweit sie zur Herbeiführung einer 
richtigen und klaren Auffassung der vorliegenden Stelle erforderlich 
sind. Die Hauptsache bei der Lektüre bilden eine auf klarer Einsicht 
in die sprachliche Form beruhende gute deutsche übersetzung, das in- 
haltliche Verständnis des Gelesenen und die Einführung in das Geistes- 
und Kulturleben des klassischen Altertums. 
Die Anleitung zur Vorbereitung auf neue und schwierigere Schrift- 
steller in der Klasse muß überall im Auge behalten und je nach Be- 
dürfnis ausgedehnt werden. Auf den höheren Stufen wird aber dabei 
die Selbsttätigkeit der Schüler früher in Anspruch zu nehmen sein, 
als auf den vorhergehenden. 
Auf eine gute deutsche, aber möglichst wortgetreue Übersetzung 
der Schriftsteller ist überall großes Gewicht zu legen. Sie ist in ge- 
meinsamer Arbeit von Lehrer und Schülern in der Klasse festzustellen 
und nach jedem größeren Abschnitt vom Lehrer als Ganzes vorzutragen. 
Dadurch wird am wirksamsten der Benutzung gedruckter Übersetzungen 
vorgebeugt. Die Übersetzung ist in der Regel bei Beginn der nächsten 
Stunde durch die Schüler zu wiederholen. Auf der mittleren, noch 
mehr aber auf der oberen Stufe kann diese Nachübersetzung eingeschränkt 
und durch Fragen, die sich auf Inhalt und Form des Gelesenen be- 
ziehen, ersetzt werden. Die in der Klasse anzufertigenden schriftlichen.
	        
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