Rückblick und Ausblick 181
Stellt man bei dieser Erklärung selbst in Rechnung, daß sie abgegeben
wurde, um die Heeresforderungen der französischen Regierung zu be-
gründen, so bleibt dennoch der Kern der Wahrheit klar ausgesprochen
zurück.
In Deutschland wurde von dem Zusammenbruch des alten Systems
gesprochen und der Sieg eines neuen gefeiert. Mir scheint, als ob dieses
neue System mit seinem Siege über das alte zugleich seinen ersten und
schwersten Zusammenbruch erlebte. —
Der Irrglauben wäre, den guten Willen vorausgesetzt, zu vermeiden
gewesen, wenn die Politik in Verbindung gestanden hätte mit dem
Nachrichtendienst. Dann hätten auch die Politiker in der Heimat schon
vor und erst recht im Kriege in das stahlharte Auge Englands und in
das haß= und angsterfüllte Gesicht Frankreichs gesehen, anstatt den
eignen Blick davor zu verschließen. Ohne Nachrichten vom Feind oder nur
unter dem Eindruck von Nachrichten, welche die eignen Wünsche stützen
sollten, konnte keine andere Auffassung bei den deutschen Politikern
fernab in der Heimat entstehen, als wie sie sich mir gelegentlich eines
Besuches des deutschen Vizekanzlers von Payer bei der Obersten Heeres-
leitung in Avesnes am 25. August 1918 offenbarte. Er war zum ersten
Male auf dem Kriegsschauplatz. Nachdem am Vormittag der dienstliche
Zweck seines Besuches durch Besprechungen mit den militärischen Führern
erledigt war, fiel mir am Nachmittag die Aufgabe zu, ihm etwas näher
an der Front einen Einblick zu verschaffen. Wir fuhren in die Nähe des
Holnon Waldes bei St.-Quentin, um den erbitterte Kämpfe statttgefunden
hatten, waren bei einer Fliegerstaffel, die Bombenflüge über Paris
ausführte, sahen Truppenkolonnen und Eisenbahnen unmittelbar hinter
der Front. Dies alles 14 Tage nach dem 8. August, dem Versagen
der deutschen Front gegen den englischen Angriff. Der Vizekanzler war
von allem, was er sah, tief ergriffen und bewunderte die Organisation
und Sicherheit alles dessen, was sich vor seinen Augen abspielte. Nach
jeder Anerkennung aber kam er zu dem Schluß, daß es doch bedauer-
lich sei, daß Tatkraft und Geld auf dieses Objekt, den Krieg, ver-
wendet werde. Er stellte sich vor, wie viel Schulen, Krankenhäuser,
Straßen und Bahnen damit geschaffen werden könnten. Ich machte
ihn auf den von der Front unausgesetzt herüberschallenden Kanonen-
donner aufmerksam und gab meiner soldatischen Auffassung Ausdruck,
daß wir auf Jahrzehnte hinaus nicht zu den Werken des Friedens