36 Kriegsvorbereitung
zurufen, weil er charakteristisch ist dafür, welche Rolle die Spionage
in Frankreich spielte und wie sie zu anderen als militärischen Zwecken
auch im Inland ausgebeutet wurde.
Im September 1894 kam den Spionageabwehrbehörden in Paris
ein „Bordereau“, d. h. ein Begleitschreiben, zur Kenntnis, in dem von
einem Landesverräter die Übersendung verschiedener militärischer Doku-
mente wichtiger und geheimer Art angeboten wurde. Das Bordereau
war für den deutschen Militärattaché in Paris, Major von Schwartz-
koppen, bestimmt gewesen, dieser aber hat es nie zu sehen bekommen.
Der Weg, auf dem die französische Spionageabwehr zu dem Bordereau
gekommen war, wurde im Laufe der Untersuchungen in zweierlei Art
geschildert. Einmal wurde behauptet, es sei „par la voie ordinaire“,
„auf dem gewöhnlichen Wege“, d. h. aus dem Papierkorb des Atta-
chés, dessen Inhalt von der bestochenen Putzfrau regelmäßig einem
Geheimagenten überbracht wurde, ermittelt worden. Diese Levart ist
falsch, weil der Attachs das Schreiben überhaupt niemals in Händen
gehabt hat. Richtig ist die zweite Behauptung, daß der Brief entwendet
wurde, ehe derselbe dem Militärattaché zu Gesicht gekommen war. Denn
der französische Generalstab unterhielt einen Geheimagenten, den El-
sässer Brucker, für die Uberwachung des deutschen Militärattachés.
Brucker suchte und fand mehr als freundschaftliche Beziehungen zu
einer Frau Bastian, der Portiersfrau des Militärattachés. Auf diese
Weise war letzterer und seine Korrespondenz der eingehenden Uber-
wachung unterworfen. Brucker sah aus dem Inhalt des Briefes, daß
er ein sehr wichtiges Schriftstück erbeutet hatte. Er brachte es dem
Chef des Nachrichtenbureaus, Oberstleutnant Henry, und verlangte für
die Beibringung dieses besonders wichtigen Dokumentes auch eine be-
sondere Belohnung. Henry war, nachdem Brucker von dem Schrift-
stück Kenntnis hatte, nicht mehr in der Lage, es verschwinden zu lassen,
was er zweifellos gern getan hätte. Er legte es der vorgesetzten Stelle,
dem Souschef und dem Chef des Generalstabs, den Generalen Gonsé
und Boisdeffre vor. Sachverständige schlossen aus dem Inhalt des
Bordereaus, daß der Schreiber Artillerist sein mußte, denn es war
darin von einer neuen geheimen Rücklaufbremse die Rede, sowie daß
er Generalstäbler im Vorbereitungsdienst sein müsse. So fiel der Ver-
dacht auf den Juden Dreyfus, der sich im Generalstab ohnedies einer
bemerkenswerten Unbeliebtheit erfreute. Nun wurde auch der Kriegs-