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Im Jahre 1609 trat, wie oben erwähnt, jener Fall ein. Bei
dem Tode des letzten Herzogs lebten aber noch drei seiner jüngeren
Schwestern und eine Tochter der ältesten Schwester, welche an den
Kurfürst von Brandenburg verheiratet war. Die Männer jener
Schwestern machten nun Ansprüche auf einen Theil dieser Länder.
Der Kurfürst von Brandenburg verlangte dagegen das ganze Land
als Erbe, weil seine Gemahlin die Tochter der ältesten Schwester sei,
und alle vier Parteien beriefen sich auf die Erklärung Karl V.
vom Jahre 1546.
Kurfürst Christian hatte offenbar die ältesten Ansprüche auf dieses
Land und er machte sie auch bei dem Kaiser (Rudolph II.) sofort
geltend. Dieser erkannte sie auch für richtig an und sprach im
Jahre 1610 diese Erbschaft dem Kurfürsten von Sachsen feierlich zu.
Allein der Kurfürst von Brandenburg hatte indessen mit noch einem
andern Fürsten (Pfalzgraf von Zweibrücken) das Herzogthum mit
Truppen besetzt. Da sich aber diese beiden Fürsten veruneinigten, ließ
der Kaiser einstweilen auf diese Länder Beschlag legen. Christian II.
hielt es bei der Rechtmäßigkeit seiner Ansprüche gar nicht für möglich,
daß ihm das Herzogthum entgehen könne. Jetzt wäre es an der Zeit
gewesen, den anderen Bewerbern gegenüber sein Recht mit den Waffen
in der Hand durchzusetzen, aber dazu konnte er sich nicht entschließen.
So herrlich auch die Friedensliebe als kostbare Perle in der Krone
eines Fürsten glänzt, so hat doch auch diese Tugend eine Grenze.
Sein wohlerworbenes Recht mit Waffengewalt zu wahren, war eine
Pflicht, die sich Christian selbst und dem ganzen Sachsenlande
schuldig war. Leider hatte er sich auch in seinem Vertrauen zum Kaiser
getäuscht. Obgleich dieser die Rechte des sächsischen Kurfürsten an—
erkannte, so traf er doch keine Anstalten, ihn zu dem Besitz jener Lande
zu verhelfen. Man meint vielmehr, dem Kaiser habe selbst nach
jenem Länderbesitz gelüstet.
Wie würden sich z. B. die Kurfürsten Moritz und Vater August
in diesem unglücklichen Erbstreite verhalten haben? Auf lange, zeit-
raubende Unterhandlungen, die in den meisten Fällen zu nichts führen,
hätten sie sich sicherlich nicht eingelassen, sie würden sich ohne weiteres
an der Spitze ihrer tapferen Krieger erkämpft haben, was ihren Vor-
fahren versprochen worden war. Kurfürst Christian II. protestirte
nur, und das that er allerdings wiederholt, gegen jede fremde Be-
setzung dieses Landes, indes es blieb erfolglos und die reiche Erbschaft
mit einer Million Menschen ging für Sachsen verloren. Nur etwas
erreichte Christian: Er erhielt den Titel und das Wappen dieses
Landes. Bis zum Jahre 1806, als das Kurfürstenthum Sachsen
vom Kaiser Napoleon zum HKönigreiche erhoben worden war,
nannten sich die sächsischen Kurfürsten unter andern auch: Herzöge
von Jülich-Cleve-Berg 2c.