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Am ersten Tage des Jahres 1707 feierte Sachsen ein allgemeines
Friedensfest und es wurde der abgeschlossene Friede von allen Kanzeln
im Lande verlesen.
Nun hatte Friedrich August Karls Forderungen in ihrem ganzen
Umfange erfüllt, und dennoch machte letzterer keine Anstalt, unser Vater-
land zu verlassen, er blieb vielmehr bis nach der Ernte des Jahres 1707
in seinen Quartieren. Anfangs sollte Sachsen 22000 Schweden er-
halten; nach und nach vergrößerte aber Karl sein Heer bis auf 34000.
Mit jedem Tage wurde die Last, welche die armen Einwohner drückte,
unerträglicher; denn die aufgebrachten Summen erreichten nach unserm
Gelde die Höhe von 70 Millionen Mark, und nur der Umstand,
daß der größte Theil dieses Geldes von den Schweden wieder in
unserm Lande ausgegeben wurde, milderte den Druck ein wenig.
Karl hatte nämlich seinen Soldaten aufs strengste befohlen, alle zu
entnehmenden Lebensbedürfnisse baar zu bezahlen, und bei Androhung
der Todesstrafe waren ihnen Gewaltthätigkeiten gegen die Einwohner
untersagt.
Mit welch eiserner Strenge auf Erfüllung dieses Befehls gehalten
wurde, zeigt folgender Vorfall. Als Karl an einem Bauernhause
vorüberritt, vernahm er in demselben einen auffallenden Lärm.
Sogleich erkundigte er sich nach dessen Ursache. Man berichtete ihm,
daß zwei Soldaten vom Leibregimente einem Bauer eine Schale mit
Rahm weggenommen, und einen Knaben, der sie daran hindern wollte,
geschlagen hätten. Der entrüstete König befahl, das Todesurtheil
an einem der Soldaten sogleich zu vollstrecken. Die Verurtheilten
mußten loosen und ohne Gnade und Barmherzigkeit wurde der eine
auf der Stelle erschossen.
b) Rarl XII. unerwarteter Besuch in Dresden. Friedrich August erobert
den polnischen Thron mit Hilfe der Lachsen zurüch. Sachsen wird vom König
Stanislaus bedroht. Mie sächsischen Truppen ernten in Polen Undank.
Jedenfalls hätte Karl seine Truppen noch länger in Sachsen
gepflegt, wären nicht beunruhigende Nachrichten aus Polen eingelaufen.
Hier rückte der russische Kaiser nach Warschau vor, um den von Karl
eingesetzten König zu verjagen. Jetzt hielt es der schwedische Held
an der Zeit, wiederum auf dem Kriegsschauplatze zu erscheinen. Am
1. September 1707 brach er mit seinem Heere auf, ging über Grimma
und Meißen und machte bei Oberau Halt. Hier führte der jugend-
liche König einen Streich aus, der an Tollkühnheit grenzte. Am
6. September unternahm er, von einigen Personen begleitet, einen
Spazierritt auf der Straße nach Dresden zu. Da der König keine
Anstalten zum Umkehren traf, zeigte man ihm die nahen Thürme der
Stadt und machte ihn auf die Gefahren dieser Nachbarschaft auf-