Full text: Geschichte des Königreichs Sachsen mit besonderer Berücksichtigung der wichtigsten culturgeschichtlichen Erscheinungen.

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und von diesem hat der damalige Pfarrer (Jahn III.) seiner Familie 
und anderen wiederholt erzählt, daß derselbe bei der Rückkehr von der 
Wanderschaft aus Hamburg einige Kartoffeln mitgebracht und sie 
in seinem Garten angepflanzt habe.) Ebenso versicherte genannter 
Pfarrer später wiederholt, der erste gewesen zu sein, welcher mit dem 
Anbau dieser Frucht einen weiteren Versuch gemacht und sie im Pfarr- 
garten angepflanzt habe. 
Bald hielt man es auch an anderen Orten der Mühe werth, 
wenigstens einen Versuch mit dem Anbau der neuen Frucht zu machen. 
Einige Jahre nachher hielt man bei Schlettau, später bei Wolkenstein 
und noch später in der Grimmaer Gegend kleine Kartoffelernten. — 
Nur die Bauern in den fruchtbaren Gegenden bei Meißen und Lom- 
matzsch sahen lange Zeit mit Geringschätzung auf das neue Knollen- 
gewächs herab, bis endlich die Erfahrung zeigte, daß es mit der neuen 
Frucht doch eine herrliche Sache sei. Mit freudigerem Herzen stimmte 
man in das Tischgebet ein: 
„Wir danken Gott für seine Gaben, 
Die wir von ihm empfangen haben.“ 
Gegenwärtig werden in dem jetzigen Königreiche Sachsen jährlich 
12 Millionen Hektoliter Kartoffeln erbaut und längst schon ist diese 
Frucht für Jung und Alt, für Reich und Arm eine Lieblingsspeise 
geworden. Ehe wir die Kartoffeln kannten, gehörte es nicht zu den 
Seltenheiten, daß Menschen in Zeiten schwerer Theuerung verhun- 
gerten. Wurde die Noth in den Jahren des Mißwachses später 
weniger drückend, als früher“"), so verdanken wir dies der Kartoffel. 
Nu steht zwar fest, daß die Kartoffel, dieses „Brot der Armen“, 
wie sie oft genannt wird, wenig Nährstoff enthält.““) und daß es 
*) Bei der Zeitbestimmung der ersten Kartoffelanpflanzung in Sachsen 
stoßen wir auf manche Schwierigkeiten. Ist Kummer, wie man manchmal liest, 
„in Folge des 1666 zu London stattgefundenen großen Brandes dahin gewandert 
und 1706 nach Unterwürschnitz zurückgekehrt“, so kam er nach einer 36= bis 
40jährigen Abwesenheit in einem Alter von 56 bis 60 Jahren wieder zurück, 
eine Annahme, die zwar möglich, aber sehr unwahrscheinlich ist. Hat Kummer, 
wie hier und da behauptet wird, 1707 die ersten Kartoffeln angepflanzt, so 
erscheint die Richtigkeit der Angabe zweifelhaft, daß Pastor Jahn der erste 
gewesen sein will, der die Kartoffel weiter verpflanzt habe, denn dieser trat 
erst 1710 in erwähntes Pfarramt, und sind die ersten Kartoffeln 1717 — wie 
es in manchen Büchern heißt — angebaut worden, dann wäre Kummer als 
66= bis 70jähriger Handwerksbursche aus der Fremde zurückgekommen, sobald 
die angegebene Auswanderungszeit auf Wahrheit beruht. Im vorliegenden 
Falle müssen noch sichere historische Unterlagen beschafft werden. 
*“2) Da Mißwachs selten einen ganzen Erdtheil, wenigstens nicht die 
ganze Erde heimsucht, so ist die in der neuesten Zeit eingetretene Um- 
gestaltung des Verkehrs durch Eisenbahnen, Dampfschiffe rc. ebenfalls ein Mittel, 
deß * Zeiten in ihren Folgen nicht mehr so furchtbar auftreten können, 
als früher. 
***) Durchschnittlich ungefähr ½/100 Theile. 
Geschichte Sachsens. 18
	        
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