Full text: Geschichte des Königreichs Sachsen mit besonderer Berücksichtigung der wichtigsten culturgeschichtlichen Erscheinungen.

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Auf diese Antwort war die ehrliche Frau nicht gefaßt gewesen. Fast 
vergessend, daß sie vor der Kurfürstin stand, rief sie aus: „Nein, gnädige 
Kurfürstin, das ist gar zu kränkend. Geben Sie mir die Musik meines 
Sohnes zurück! Das hat weder er, noch haben wir es verdient. Wir sind 
arme, aber ehrliche Landleute. Einer solchen Lüge würden wir uns nie 
schuldig machen.“ 
Die Kurfürstin dachte viel zu hochherzig, als daß sie in dieser Art 
eine Verletzung der Hochachtung hätte erblicken sollen. „Gute Frau“, erwiderte 
sie halb lächelnd, „so habe ich es nicht gemeint. Weder Sie, noch Ihr Sohn 
brauchen unwahr gesprochen zu haben. Aber wahrscheinlich hat ihm einer 
seiner Lehrer dabei geholfen.“ 
„Nein, Königliche Hoheit, auch das nicht. Er hat schon längst keinen 
Lehrer mehr, und was er für das Seinige ausgiebt, hat er gewiß auch selbst 
gemacht. Wir haben ihn stets so erzogen, daß wir sicher sein können, es 
gehe keine Unwahrheit über seine Lippen. Er hat schon zwei Opern ge- 
schrieben, die in Venedig aufgeführt worden sind und gefallen haben. Ich 
glaubte, es müßte unserer Durchlauchtigsten Kurfürstin selbst Freude machen, 
wenn ein armes Landkind sich auswärts Ehre erwirbt! Um so tiefer 
schmerzt mich solch ein Vorwurf. Noch einmal, gnädigste Kurfürstin, wenn 
Sie glauben, es sei nicht meines Sohnes Arbeit, so geben Sie mir solche 
zurück!“ 
„Das werde ich nicht, gutes Mütterchen! Aber genauere Erkundigungen 
werde ich einziehen lassen, und findet sich's, wie ich nach Euern Reden nun 
schon hoffe, daß Euer Sohn dergleichen schöne Sachen selbst verfertigen kann, 
so soll er gewiß nicht lange mehr in der Fremde bleiben; so will ich gewiß 
ihn hier in seinem Vaterlande versorgen, und Ihr sollt die Freude bald 
haben, ihn wieder zu sehen.“ 
Die Kurfürstin hielt Wort. Unverzüglich ließ sie in Italien über 
Naumann Erkundigungen einziehen, und da diese höchst günstig ausfielen, 
so erhielt er durch ihre Verwendung eine Anstellung bei der kurfürstlichen 
Kapelle. Später (1776) ernannte ihn der Kurfürst zum Kapellmeister. 
Anhänglichkeit an sein Vaterland und die Auszeichnungen, womit ihn der 
Kurfürst beehrte, bestimmten ihn, die glänzenden Anerbietungen, welche ihm 
Friedrich der Große und die Könige von Schweden und Dänemark, Letzterer 
wiederholt machten, auszuschlagen. · 
Naumanns Name war durch eine Menge vortrefflicher Com- 
positionen von Psalmen, Liedern, Kirchenmusiken und mehreren Opern 
ein überall gefeierter. Wie aber die Sonne sehr oft kurz vor ihrem 
Untergange ihre Strahlen noch einmal in ihrem vollen Glanze 
leuchten läßt, so entfalten große Männer im Angesichte ihres nahen 
Endes nicht selten auch die ganze Fülle ihres Geistes. Naumann 
schuf wenige Jahre vor seinem Ende ein Werk, das für alle Zeiten 
die Freunde der Musik erheben und begeistern wird, und dies war 
die Composition des (Klopstockschen) Vaterunsers. Als er sein Werk 
in Prag aufgeführt hatte, trat eine Herzogin (von Kurland) zu ihm, 
ergriff seine Hand und sprach: „Ich danke Ihnen von ganzer Seelel! 
Denn mich dünkt, ich liebe Gott und Menschen mehr, seit ich diese himm- 
lische Musik gehört habe. Ich werde, zufrieden mit jedem Schicksale, 
sagen können: Herr, dein Wille geschehe! Dein Reich komme!“ 
Die allgemeinste Theilnahme erregte Naumanns Tod. Am 
21. Oktober 1801, abends 5 Uhr, unternahm er einen Spaziergang
	        
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