fullscreen: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

610 II. 1. Der Wiener Congreß. 
und im Taumel der geselligen Freuden seinen zähen Fleiß zu bewahren. 
An Geist und Bildung, an Rührigkeit und ehrenhafter Gesinnung gebrach 
es den preußischen Staatsmännern nicht. Humboldt und die Geheimen 
Räthe der Hardenbergischen Staatskanzlei Stägemann, Jordan, Hoff- 
mann, waren, neben Gentz, die besten Arbeitskräfte des Congresses; sie 
besorgten fast allein die schwierigen statistischen Berechnungen, welche der 
Neugestaltung der Karte Europas zur Unterlage dienten, und wurden 
durch ihre unerbittlichen Zahlen den Fremden oft unbequem, namentlich 
den Franzosen, die jederzeit mit der Geographie auf gespanntem Fuße 
gelebt haben. Ueber den gelehrten Statistiker Hoffmann sagte Talleyrand 
einmal erbost: „wer ist denn der kleine Mann da, der alle Köpfe zählt 
und seinen eigenen verliert?“ Aber die Spannkraft des Entschlusses, die 
aus dem Lahyrinth der diplomatischen Ränke einen sicheren Ausweg ge- 
funden hätte, war diesen treuen Arbeitern versagt. Im Ganzen trat das 
kleine Gefolge des Königs, bis auf die Lebemänner Prinz August und 
Hardenberg, schlicht und ehrbar auf; die lustigen Wienerinnen begriffen 
gar nicht, warum des Königs Bruder, der schöne vielumworbene Prinz 
Wilhelm, der doch seinen Löwenmuth vor dem Feinde gezeigt hatte, gegen 
die Damen so mädchenhaft schüchtern war und seiner geliebten Gemahlin 
gar nicht vergessen wollte. 
Den zahlreichsten und buntesten Theil der erlauchten Gesellschaft 
bildeten natürlich die deutschen Kleinfürsten. Da war Keiner, von dem 
Baiern Max Joseph bis herab zu Heinrich LXIV. von Reuß, der nicht 
geschäftig um die Gnade der fremden Herrscher warb; die Russen erzähl- 
ten mit unverhohlener Verachtung, welche Berge deutscher durchlauchtiger 
Bettelbriefe im Cabinet ihres Kaisers aufgeschichtet lagen. Da war Keiner, 
der nicht seine angemaßte Souveränität als ein unantastbares Heiligthum 
betrachtete: seit den Verträgen des vergangenen Herbstes fühlte man sich 
dieses napoleonischen Geschenkes wieder so sicher, daß Einer der Kleinsten 
unbefangen zu Stein sagen konnte: „ich weiß es wohl, die Souveränität 
ist ein Mißbrauch, aber ich befinde mich wohl dabei.“ Zu den Souveränen 
gesellte sich die dichte Schaar der Mediatisirten, die noch immer auf die 
Anerkennung ihres formell unbestreitbaren Rechts hofften, obgleich ihr 
Schicksal schon in Ried und Fulda entschieden war. Ihr Führer war 
die Fürstin Mutter von Fürstenberg, eine tapfere und kluge Dame; un- 
ermüdlich vertrat sie die Interessen ihrer Leidensgenossen, im Verein mit 
dem Geheimen Rathe Gärtner, dem viel verspotteten Surchargé d'aftaires, 
den sich die Entthronten auf gemeinschaftliche Kosten hielten. 
Dazu Abgeordnete aus verschiedenen deutschen Landschaften, die ihre 
alte Dynastie zurückforderten: Freiherr von Summerau und Dr. Schlaar im 
Auftrage der österreichischen Partei des Breisgaus, eine Deputation aus 
Düsseldorf, die wieder pfalz-bairisch werden wollte u. s. w. Nicht minder 
eifrig verlangten die drei Oratoren der katholischen Kirche Deutschlands,
	        
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