Full text: Regierungs-Blatt für das Großherzogthum Sachsen-Weimar-Eisenach auf das Jahr 1875. (59)

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e) Nachsitzende Schüler müssen stets von einem Lehrer beaufsichtigt 
werden. 
d) Die körperliche Züchtigung kann in der Volksschule nicht ganz ent- 
behrt, soll aber nur in seltenen Fällen angewendet werden und 
zwar da, wo bei erheblichen Fehlern andere Strafen sich wiederholt 
als unwirksam erwiesen haben, oder bei einer durch andere Mittel nicht 
wohl zu bemeisternden boshaften Neigung oder Widerspenstigkeit. 
Selbstverständlich ist aber auch in diesen Fällen jedesmal die Indivi- 
dualität des Falles und des Kindes wohl zu berücksichtigen und nur da, wo 
aus ihr keine mildere Behandlung sich rechtfertigen würde, die körperliche 
Züchtigung anzuwenden. 
Darnach wird es namentlich vorkommen können, daß im sonst geeigneten 
Falle die körperliche Züchtigung bei hartnäckiger, frecher Lüge, bei 
Widersetzlichkeit, muthwilliger Mißhandlung jüngerer schwacher 
Kinder, Thierquälerei, Baumfrevel in Wiederholungsfällen und bei 
Diebstahl ernsterer Art angewendet wird. 
Da die körperliche Züchtigung auf die leibliche Schmerzempfindung nicht 
allein gerichtet ist, und der strafende Lehrer an des Vaters Stelle dem schul- 
digen Kinde gegenüber steht, so hat fich der Lehrer vor, während und nach der 
Strafe vor Gleichgiltigkeit oder kaltem Spott ebenso sehr, wie vor 
leidenschaftlicher Erregtheit oder nachtragendem Zürnen zu hüten. 
In manchen Fällen wird es sich empfehlen, die Züchtigung auf das 
Ende der Lehrstunde oder des Unterrichts zu verschieben. 
Als Züchtigungs-Instrument ist nur ein dünnes, biegsames Stöckchen 
zulässig, welches auch während des Unterrichts im Schulschrank aufbewahrt und 
nur, wenn Körperstrafen nothwendig werden, hervorgeholt wird. 
Schmerzerregende Strafen am Kopfe, auf dem Rücken oder den 
Händen sind zu vermeiden. 
Bei Mädchen sollen überhaupt und bei Kindern in den ersten zwei 
Schuljahren körperliche Strafen nicht angewendet werden. 
Im Uebrigen hoffen wir, daß die Lehrer des Landes beim Werke der 
Erziehung und des Unterrichts sich jederzeit von der Ueberzeugung leiten lassen, 
daß der rechte Erzieher das nöthige Uebergewicht über die Jugend durch äußere 
Zuchtmittel allein weder erlangt noch behauptet. Je treuer und gewissenhafter 
er in seinem Berufe, je mehr er seines Stoffes mächtig ist, je mehr er bei 
seiner Schulführung sich ebenso vom Geiste der Liebe, wie von dem der ernsten
	        
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