Full text: Volkswirtschaftslehre VII. Band: Das Verkehrswesen. (7)

2. Kapitel. Die Entwickelung der Eisenbahnen. 251 
misch —Partenkirchen bis zur Landesgrenze bei Scharnitz und bei Griesen) 
erproben und dabei die natürliche Wasserkraft der Saalach verwenden. 
Die badische Staatsbahnverwaltung führt die Vollbetriebsversuche auf 
der Wiesentalbahn (55,4 km) bei Basel aus und bezieht dazu die elek- 
trische Kraft aus dem Werke von Augst-Wyhlen, 5 km von Basel. In 
Finland, Schweden und Norwegen ist die Frage ebenfalls in Flut, 
auch in Csterreich. Italien hat schon seit Ende des 19. Jahrhunderts 
mit dem elektrischen Vollbetriebe begonnen, so 1900 mit den Strecken 
Lecco—Sondrio (106 km) und Malland— Varese (100 km), undhat auf diesem 
Gebiete kräftig weitergearbeitet, gedrängt durch seine Kohlenarmut und 
seinen Wasserkraftreichtum. Wenn, wie zu erwarten, die Versuchs- 
strecken für den Vollbetrieb gute Ergebnisse haben, stehen wir im 
Beginn wichtiger Umwälzungen auf dem Gebiete des Eisenbahnwesens. 
Der Lokomotivbetrieb kann nur dann wirtschaftlich arbeiten, wenn 
eine möglichst weitgehende Ausnutzung der Kraft stattfindet, also hbin- 
reichend lange Züge gebildet werden. Auf Strecken mit schwachem 
Verkehr ist er oft zu teuer. Auch auf Strecken, die wegen der Häufig- 
keit anderer Fahrgelegenheiten — elektrische Strabenbahnen, Klraft- 
omnibuslinien usw. — selbst zahlreiche Fahrgelegenheiten bieten müssen, 
um den Verkehr nicht zu verlieren, ist der Lokomotivbetrieb nicht immer 
der vorteilhafteste. Das hat zu dem Streben geführt, auf solchen Strecken 
den Lokomotivbetrieb durch den Triebwagenbetrieb zu ersetzen oder zu 
ergänzen. Lokomotiven sind nur zum Ziehen, aber nicht zur Aufnahme 
von Personen oder Gütern bestimmt. Triebwagen dagegen sind zur 
Aufnahme von Personen oder Gütern eingerichtet und gleichzeitig mit 
der Fortbewegungsmaschine ausgerüstet. Schon 1846 hat man in Eng- 
land Dampftriebwagen versucht, ohne aber Erfolg zu haben. Erst im 
20. Jahrhundert haben sie sich, gestützt auf die verbesserte Bauart und 
die veränderten Verkehrsverhältnisse, einbürgern können, so seit 1903 in 
England, wo man ihnen auch jetzt noch den Vorzug gibt. In Deutsch- 
land sind sie auch vertreten, aber nach den erfolgreichen Versuchen der 
pfälzischen Bahnen mit elektrischen Sammlerwagen (1894 und 1895) von 
den elektrischen Triebwagen überholt. Ihnen machen neuerdings die 
Triebwagen mit Verbrennungskraftmaschinen (besonders auf Benzin ein- 
gerichtet) das Feld streitig, da der Sammlerwagen nicht mehr als 
km mit einer Ladung fahren, also sich nicht wmehr als 50 km von 
der Ladestelle entfernen kann. Auch die jüngst aufgenommenen benzol- 
elektrischen Triebwagen, die seit 1907 von der Allgemeinen Elektrizitäts- 
Gesellschaft zu Berlin erbaut werden, sind bereits von der preubischen 
und oldenburgischen Eisenbahnverwaltung versucht worden. Triebwagen 
sind in den letzten Jahren auch in den Eisenbahndienst anderer Länder, 
z. B. Frankreichs, Osterreichs, der Vereinigten Staaten von Amerika, einge- 
führt worden. Auf den deutschen vollspurigen Bahnen waren in Gebrauch
	        
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