Metadata: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

Heerwesen und Verwaltung. 155 
Der herrschende Ton blieb gleichwohl noch sehr geistlos. Die meisten 
alten Offiziere trugen geflissentlich ihren Bildungshaß zur Schau und ver— 
hehlten nicht ihre Verachtung gegen den Schulmeister Scharnhorst. Da 
nur vier oder fünf Rekruten jährlich in die Compagnie eingestellt wurden, 
so war die schwere und dankbare Aufgabe der militärischen Volkserziehung, 
die für die Linienoffiziere der modernen Volksheere den besten Lebens— 
inhalt bildet, für jene Zeit noch gar nicht vorhanden; die ewige Wieder— 
holung derselben Paradekünste mit denselben alten Berufssoldaten wurde 
für feurige Naturen unerträglich. Die schüchternen Berliner Bürger 
entsetzten sich, und der König griff mit strengen Strafen ein, da die 
jungen Offiziere des verrufenen Regiments der Gensdarmes in lärmen— 
dem Maskenzuge die Straßen durchrasten und der baumlange Karl Nostitz, 
als Katharina von Bora verkleidet, hinter dem Doctor Luther die Hetz— 
peitsche schwenkte; in solchen rohen Späßen tobte sich das heiße jugend— 
liche Blut aus, das in der Langeweile des Kamaschendienstes nichts mit 
sich anzufangen wußte. Der ganze Jammer dieses Friedensheeres ver— 
körpert sich in dem tragischen Schicksale des Prinzen Louis Ferdinand; 
ein trauriger Anblick, wie der freie und kühne, zu allem Herrlichen ge— 
borene junge Held in wildem Genuß und tollen Abenteuern seine Kraft 
vergeudete, weil er ein leeres Dasein nicht zu tragen vermochte. Mehr 
und mehr gerieth der eigentliche Zweck des Heerwesens in Vergessenheit. 
Der Orden pour le mérite, vordem nur auf dem Schlachtfelde verliehen, 
wurde jetzt schon zum Lohne für die Heldenthaten des friedlichen Manöver- 
feldes. Pedantische Kleinmeisterei überwachte die Länge der Zöpfe, die 
Form der Heubündel, das Geklirr der präsentirten Musketen; aber die 
Geschütze waren der Ersparniß halber ohne Bespannung. Eine majestätische 
Langsamkeit schien der fridericianischen Armee allein noch würdig zu sein; 
es kam vor, daß ein Artillerieregiment für den Marsch von Berlin nach 
Breslau vier Wochen brauchte. Der gemeine Soldat, der die gewohnte 
Kundschaft für seine Handwerksarbeit nicht verlieren mochte, dachte ebenso 
friedfertig wie die Mehrzahl der ergrauten Capitäne, denen die Beurlau- 
bungen der Friedensjahre einträgliche Ersparnisse für den eigenen Benutel 
brachten. Es schien, als sollte der preußische Degen nie mehr aus der 
Scheide fahren. Wörtlich erfüllte sich die Weissagung Friedrich's, der einst 
„die Lieblingskinder des Mars“ gewarnt hatte, sie möchten ihre männlichen 
Sitten nicht verderben lassen durch Trägheit, Hochmuth, Weichlichkeit. 
Ebenso wenig gelang eine durchgreifende Reform der Verwaltung. 
Der König getraute sich nicht, nach der Weise seines Großoheims Alles 
selber zu entscheiden, schon weil sein Billigkeitsgefühl zurückschrak vor dem 
harten, von solcher Allmacht unzertrennlichen fridericianischen Grundsatze, 
daß der Monarch niemals einen Irrthum eingestehen dürfe. Er wies 
daher alle Bittschriften wo irgend thunlich an die zuständigen Behörden. 
Dadurch wuchs die ohnedies erdrückende Geschäftslast der Beamten. Seit
	        
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