Deutschland (ohne Preußen). 97
mit dem besten Erfolg zu betreten wäre. Dies ist der eine Hauptgesichts-
punkt, von welchem aus preußischer Seits bereits verschiedentlich allgemeine
Reformbestrebungen eingeleitet worden sind, und welcher, auch ohne daß
solche vorlagen, in Beziehung auf die Entwicklung der verschiedenartigsten,
das gemeinsame deutsche Interesse fördernden Maßnahmen und Einrichtungen
von Preußen stets festgehalten worden ist. Von diesem Standpunkt aus
kann eine Begründung oder Erweiterung der Competenz des Bundes auf
dem Gebiet einer allgemeinen Gesetzgebung nicht rathsam erscheinen.
„Ein zweiter Gesichtspunkt, welcher nach unserer Auffassung zur Richt-
schnur jeder bedeutsamen Reform des Bundes genommen werden muß,
wenn anders dieselbe von praktischem Werth sein soll, ist der, daß sowohl
bei der Bildung der verfassungsmäßigen Organe des Bundes, als auch bei
der Begründung der organischen Einrichtungen desselben die realen Macht-
verhältnisse zum Grunde gelegt werden, und daß in den Bundesbeziehungen
überhaupt das Gewicht der Stimmen mehr mit dem Gewicht der Leistung,
die Größe der Berechtigung mehr mit der Größe der Verpflichtung in Ein-
klang gesetzt werde.
„Frhr. v. Beust erläutert den Standpunkt, von dem er ausgeht, dahin:
Daß es sich bei den Reformen des Bundes immer nur um die bessere Ent-
wicklung eines Staatenbundes handeln könne, weil der Bundesstaat gleich-
bedeutend mit der Auflösung des Bundes sei. Auch wir glauben, daß ein
ernster Versuch, den ganzen Bund in bundesstaatliche Formen zu zwängen,
leicht von solchen Folgen begleitet sein könnte, während uns die Bildung
eines Bundesstaats im Staatenbund mit dem Fortbestehen des
letzteren sehr wohl vereinbar scheint. Eben daher schreibt sich eines unserer
Hauptbedenken gegen die Reformplane des Frhrn. v. Beust, welche, wie
wir schon oben andeuteten, nach unserer Ansicht gerade für das Ganze
eine bundesstaatliche Richiung einschlagen. Denn in dem von ihm ge-
wünschten neuen Bundesorganismus erstrebt Frhr. v. Beust unzweifelhaft
eine staatsrechtliche Verbindung der im Bund begriffenen Staaten unter
einer über das Ganze sich erstreckenden höheren Staatsgewalt, welche in
ihrer bestimmten Sphäre souverän sein soll. Er erstrebt ferner die Con-
stituirung eines förmlichen Gesetzgebungsrechts, eines selbständigen Bundes-
gerichts, und eines selbständigen militärischen Verwaltungsorgans. Hiermit
kommen aber gerade die wesentlichen Attribute des Bundesstaats: Gesetz-
gebung, Oberaufsicht und Vollziehung in Bundessachen zum Ausdruck.
„In dem Nachtrag ist ferner die Ansicht ausgesprochen, daß die Vereinigung
eines Theils der Bundesgenossen zu einem engern Verband das Ausscheiden
der einen Großmacht aus dem Bund zur nothwendigen Folge haben müsse,
weil der weltere Bund in jenem Fall zu einem bloßen Allianzvertrag
herabsinke, dessen Dauer und Ausführung von wechselnden Umständen ab-
hängig bleiben würde.
„Wir vermissen jede nahere Begründung dieser Ansicht, und vermögen unserer-
seits die Nothwendigkeit solcher Folgen nicht einzusehen. Denn weder würde
aus der Benützung des durch Art. 11 der Bundesakte gewährten Bündniß-
rechts zu engeren Vereinigungen unter einem Theil der Bundesgenossen für
die andern die Berechtigung zum Ausscheiden aus dem Bund erwachsen,
noch würde dadurch die Garantie für den Bestand des weitern Bundes eine
Veränderung erleiden. Sie bliebe im Gegentheil ganz die bisherige, und
würde vielmehr durch die Verbesserung der Verfassung gestärkt, während
der Bund bei seiner gegenwärtigen mangelhaften Organisation Zweifel über
seine Widerstandskraft in großen Wechselfällen erwecken kann, und eine soiche
jedenfalls erst noch zu bewähren hat. Wir theilen mit dem Frhrn. v. Beust
die Ansicht, daß für den ganzen Bund keine kräftige Centralgewalt, sei es
eine einheitliche, sei es eine zusammengestzte dauernd errichtet werden
könne. Auch haben wir uns bereits in dem umfänglichen Schriftwechsel,
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