294 Uebersicht der Ereignisse des Jahres 1861.
könne, die beide ohne einander nicht denkbar seien und die sich darum
nothwendig verständigen müßten.
War eine solche Verständigung denkbar? So schwierig, ja fast un-
möglich es schien, so suchte das Haupt der italienischen Regierung, Graf
Cavour, doch nach einer solchen. In der denkwürdigen Sitzung vom
26. März legte er dem italienischen Parlamente seine Idcen darüber vor.
Vom Grundsatze vollständiger Trennung zwischen geistlicher und weltlicher
Gewalt ausgehend, erklärte er sich bereit, dem Papste und der kath. Kirche
gegen den Verzicht auf die weltliche Herrschaft vollkommene Freiheit und
Unabhängigkeit vom Staate in allen geistlichen Dingen zuzugestehen, we-
durch, wie er meinte, die Würde und Unabhängigkeit des Oberhauptes
der Kirche hinreichend gesichert sein würde. Auf diesem Wege allein hielt
er eine Lösung der römischen Frage, die er selbst für die schwierigste
erklärte, die je in einem Parlament zur Sprache gekommen sei, für
möglich, da er überzeugt war, daß die Kirche durch einen solchen Verzicht,
durch eine Aussöhnung mit dem, wie er namentlich betonte, so vorzugs-
weise katholischen Volke Italiens und mit den modernen Staatsideen
neue und mächtige Elemente der Kraft gewinnen und eine ganz neue
Aera der Weltgeschichte inauguriren würde. „Ich bin, erklärte er, so
vollkommen überzeugt, ich glaube so fest an die unermeßlichen Vortheile,
welche die Kirche und Italien aus einer solchen Reconstituirung ziehen
werden, daß ich mir sehr wohl einbilden kann, die öffentliche Meinung
Enropa's werde nach und nach zu derselben Ueberzeugung gelangen".
Nicht daß er glaubte, daß mit der Anbahnung einer Verständigung mit
Rom auf dieser Grundlage der große Streit zwischen Staat und Kirche
gelsst wäre. „Es werden üch, sagte er, große Schwierigkeiten erheben.
Sei's drum: ich träume von keiner vollkommenen Uebereinstimmung; aber
die Streitigkeiten selbst werden wohlthätig wirken. Ich glaube, offen ge-
standen, daß, wenn Rom unser Anerbieten annimmt, die katholische Partei
in kurzer Zeit auf dem gesetzlichen Boden eine imponirende Stellung ein-
nehmen wird; aber ich ergebe mich drein und bin es zufrieden, meine
Laufbahn auf den Bänken der Opposition zu beschließen“. Rom und die
katholische Partei waren indeß weit entfernt, auf die Ideen Cavours ein-
gehen zu wollen. Graf Cavour versuchte es zwar, durch einen Abbé
Isaja und einen römischen Advocaten, der das Vertrauen des Cardinals
Antonelli genoß, mit diesem in Unterhandlungen zu kreten, allein der
Versuch blieb ohne Erfolg.
Die Frage wegen Venetien ruhte vollständig. Die herrschende