Full text: Europäischer Geschichtskalender. Zweiter Jahrgang. 1861. (2)

82 Deutschland (ohne Preusßen). 
geschah. In einer Bundesreform ist daher für diese Idee kein Platz. Un- 
praktisch ist der Gedanke einer einheitlichen Centralregierung, welcher die 
einzelnen Staaten in ständiger Weise zu gehorchen hätten. Ihre Aufgabe 
könnte eine solche Centralgewalt nur dann erfüllen, wenn sie in Einer Hand 
sich befände. Angenommen nun selbst, daß die übrigen Staaten, außer 
Oesterreich und Preußen, sich in der Gestalt eines unter beiden wechselnden 
Turnus dem absoluten Dualismus unterwerfen wollten, was nachhaltig zu 
bestreiten ist, so würden beide Mächte es mit ihrer europäischen Stellung 
nicht vereinbar finden, sich auch nur zeitweise eine der andern unterzuordnen, 
und noch weniger dies einem Vertreter der übrigen Staaten gegenüber zu 
thun. Unpraktisch erscheint aus denselben Gründen ein ständig in Einer 
Hand befindliches militärisches Obercommando, und nicht minder eine aus- 
schließliche Vertretung nach außen. Auch diese Gedanken gehören daher nicht 
in das Gebiet der Bundesreform. Heißt das etwa dem Staatenbunde 
ein absolutes Armuthszeugniß ausstellen? Ist der Staatenbund, dessen Be- 
stehen Deutschland die schönsten Blüthen seines innern Culturlebens, seiner 
Volkswirthschaft, seines materiellen Wohlstandes verdankt, vollkommen un- 
fähig, den Anforderungen der nationalen Zusammengehörigkeit, der nationalen 
Machtentfaltung zu genügen? Gewiß nicht. Nur wolle man nicht mit 
Einem Schlag erreichen, was das Werk mühsamen und beharrlichen Zu- 
sammenwirkens sein muß, dann aber auch gelingen wird. Von diesen 
Gesichtspunkten aus, welche allerdings nicht auf theoretischer Grundlage 
construirt sind, wohl aber auf einer nüchternen Anschauung rechtlicher und 
thatsächlicher Verhältnisse beruhen, möge man die gemachten Vorschläge be- 
urtheilen.  
,,. . .  Die Errichtung des Bundesgerichts auf der einen,die Einsetzung der 
Executive auf der andern Seite, welcher gerade auf dem militärischen und 
diplomatischen Gebiete nach Erfordern der Umstände die ausgedehntesten 
Vollmachten zufallen würden, weisen zur Genüge die Voraussetzung zurück, 
als seien die Vorschläge nur dazu berechnet, die Bundesgewalt nach innen 
zu stärken, nicht aber nach außen “. 
15. Okt. (Baden.). Wahlbewegung für die Landtagswahlen. Wahl- 
rede des Ministers v. Roggenbach als Candidat in Karlsruhe: 
Das Ministerium habe festen und warmen Glauben an seine Grundsätze 
und werde dafür sorgen, daß das liberale und nationale Programm 
seiner Verwaltung nicht eine schöne Phrase bleibe, sondern wirklich 
und wirksam in's Leben übertragen werde. Er sei überzeugt, nicht eine 
willkürliche, sondern eine von der Nothwendigkeit der Lage gebotene Politik 
eingeschlagen zu haben, und er könne die Versicherung geben, daß das 
Ministerium wohl scheitern, aber nie der vollen und wahren Ausführung 
seiner Grundsätze untreu werden könne. Die Gegner getrösteten sich viel- 
fach der Hoffnung, daß diese Regierung ein rasch vorübergehendes Inter- 
mezzo sein werde; er denke etwas anders. Er sei zwar kein Prophet, aber 
er wisse, daß das gegenwärtige Ministerium im Zusammenhange mit dem 
großen politischen Zuge zur Macht gelangt sei, welcher seit einigen Jahren 
Europa beherrsche, und er könne bis jetzt die Symptome nicht entdecken, 
welche das baldige Eintreten einer andern Richtung verkündigten. Jedenfalls 
werde er das Seinige thun, um die Erwartungen der Gegner zu vereiteln. 
Bezüglich der deutschen Politik anerkenne er die vollste Berechtigung des 
Partikularismus auf allen Gebieten der inneren Entwickelung und 
weise jede Uniformirung der Verwaltung und Gesetzgebung entschieden zurück. 
Dagegen könne aber der Partikularismus nicht in denjenigen Angelegen- 
heiten das maßgebende Prinzip bleiben, in denen es keine besonderen In- 
teressen der einzelnen Länder und Stämme, sondern nur Ein großes, Allen 
gemeinsames deutsches Interesse gebe. So nachdrücklich er das
	        
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