Full text: Europäischer Geschichtskalender. Vierzehnter Jahrgang. 1873. (14)

Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. 193 
die Lehre eines zum Pfarramt Designirten; ferner bei Entscheidungen, durch 
welche wegen Mangels an Uebereinstimmung mit dem Bekenntnisse der Kirche 
die Berufung eines sonst Anstellungsfähigen zu einem geistlichen Amte für 
unzulässig erklärt wird; endlich in allen Fällen, in welchen gegen einen 
Geistlichen wegen Irrlehre die Untersuchung eingeleitet oder eine Entscheidung 
gefällt werden soll“. Die Mitglieder des Vorstandes der Provinzialsynode 
nehmen „an den betreffenden Berathungen und Beschlüssen als außerordent- 
liche Mitglieder des Consistoriums mit vollem Stimmrecht Theil“. Ein ähn- 
liches Zusammenwirken ist dann unzweifelhaft auch zwischen dem Vorstande 
der künftigen Generalsynode und dem Oberkirchenrath beabsichtigt, nur tritt 
gerade hier hervor, wie wichtig es gewesen wäre, in jenen Vorständen dem 
Laienelement das Uebergewicht zu geben. — Der Entwurf für die definitive 
Ordnung der Generalsynode ist noch nicht genehmigt und publicirt: die 
zweite Anlage ordnet nur die Wahl der außerordentlichen Generalsynode, 
welcher jener Entwurf vorgelegt werden soll. Diese letztere Synode wird ge- 
bildet aus 150 von den Provinzialsynoden gewählten Mitgliedern, aus 6 
Vertretern der evangelisch-theologischen Fakultäten, aus 6 von den evange- 
lischen Mitgliedern der juristischen Fakultäten gewählten Rechtsgelehrten, aus 
den 11 Generalsuperintendenten und aus 30 landesherrlich  ernannten Mit- 
gliedern. Die Provinzialsynoden entsenden also in diese höchste Vertretung 
der Kirche etwa drei Viertel aller Mitglieder. Der Charakter der obersten 
Vertretung wird durch den der unteren Organisationen in Provinz und Kreis 
überwiegend bestimmt. Da hier das geistliche Element unzweifelhaft domi- 
nirt, so wird es auch dort dominiren. Insofern kann man es fast als einen 
Schutz ansehen, daß wenigstens ein Drittheil der von der betreffenden Pro- 
vinz zu wählenden Mitglieder aus weltlichen Personen genommen werden 
soll. Merkwürdig aber ist, daß auch dieses Drittel kirchliche Aemter der 
unteren Stufe bekleidet haben muß.“ 
Diesem Inhalt nach unterscheiden sich die Falk'schen Kirchenordnungen von 
den Mühler'schen Plänen nicht wesentlich. Den Geistlichen allerdings wird 
vor dem Laienelement nicht von vornherein ein so starkes Uebergewicht ein- 
geräumt. Falk und Mühler aber basiren gleichmäßig auf folgenden Grund- 
sätzen: 1) Beibehaltung des landesherrlichen Kirchenregiments, 2) besondere 
ständische Vertretung von Geistlichen und Laien auf den Synoden, 3) beson- 
dere kirchliche Qualifikationen als Bedingung des aktiven und passiven Wahl- 
rechts, 4) Versagung der Pfarrwahl durch die Gemeinden. Seit 1848 unter 
allen Ministerien hat die liberale Partei gegen diese Grunglagen für eine 
evangelische Kirchenordnung protestirt. Vor Bewilligung der 25,000 Thaler 
zu Synodalkosten gab Falk einen so allgemeinen Umriß seiner Reformpläne 
für die evangelische Kirche, daß daraus alles Beliebige entnommen werden 
konnte. Die Fortschrittspartei wollte schärfer auf den Zahn fühlen, indessen, 
um ja keinen Mißton aufkommen zu lassen, wurde die Debatte geschlossen. 
Doch sah sich Hr. Miquel als Berichterstatter noch veranlaßt, ausdrücklich als 
Bedingung für die Bewilligung zu constatiren, daß die Synodalordnungen 
ohne die schließliche Zustimmung der beiden Häuser des Landtages „nicht in 
Kraft treten“ könnten. Dem gegenüber hat Falk durch seine Oktroyirung 
der Synodalordnung gerade die Mittelpartei am härtesten vor den Kopf ge- 
stoßen. Die linke Seite hatte seit 20 Jahren dem Kirchenregiment überhaupt 
jede Oktroyirungsbefugniß abgesprochen; mit dem Landtage sei ein Wahlgesetz 
für eine Synode zu vereinbaren, und diese Synode habe aus sich heraus eine 
Verfassung zu constituiren. So entspreche es der verfassungsmäßig garan- 
tirten Selbständigkeit der evangelischen Kirche. Die Mittelparteien hatten in 
der hessischen Kirchenfrage diesen Standpunkt freilich verlassen, dagegen sich 
mit Hrn. v. Mühler dahin geeinigt, daß der Landtag en bloc über die Sy- 
nodalordnungen, wie sie der Minister mit den vor ihm selbstständig zusammen- 
gesetzten Synoden entworfen, sich entscheiden sollte, und daß vor dieser Ent- 
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