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Nebersicht der Ereignisse des Jahres 1873.
dem Apostolischen Stuhle zugestanden sind, vermögen wir aus diesem
Grunde nicht Folge zu geben: sonst würden wir die Competenz des
Staates, über kirchliche Dinge einseitig zu verfügen, anerkennen.“ Es
läßt sich nicht läugnen, daß der nächste Gegenstand des Streites zwi-
schen Staat und Kirche mit dieser Ausführung klar bezeichnet wird —
vom Standpunkt der Kirche. Es war dieß der Standpunkt, der An-
spruch der Kirche seit den Tagen Constantins, wo und so weit sie nicht mehr
erreichen zu können hoffen durfte. Die römischen Päpste gingen jedoch
bekanntlich viel weiter und nahmen seit dem Mittelalter und bis auf
den heutigen Tag nicht bloß die volle Selbständigkeit der Kirche neben
dem Staat, sondern vielmehr geradezu die Herrschaft der Kirche über
den Staat in Anspruch und hie und da haben sie zeitweilig selbst
diesen Anspruch dem Staat gegenüber durchzusetzen vermocht. Aber
etwas ganz anderes ist es, wenn behauptet werden will, daß der Staat
auch seinerseits diese Ansicht der Kirche anerkannt und zugestanden
habe. Hier kann man überhaupt nicht vom Staate schlechtweg sprechen.
Die katholische Kirche bildet eine in sich geschlossene Einheit und zumal
die römischen Päpste haben es allerdings an Zähigkeit in ihren An-
schauungen und an logischer Consequenz in der Entwickelung ihrer An-
sprüche niemals fehlen lassen. Die Staaten dagegen sind und waren
zu allen Zeiten eine Vielheit: was der eine zu irgend welcher Zeit
zugegeben haben mag, hat ein anderer zu derselben Zeit bestritten und eben
dieß war durch alle Jahrhunderte herab und zwar von demselben Con-
stantin d. Gr. an bis heute der Fall und niemals ist es der Kirche
gelungen, jene ihre Ansprüche zu allgemeiner und unbestrittener Gel-
tung zu bringen. Niemals namentlich ist ihr dieß Deutschland gegen-
über gelungen und wenn die preußische Regierung heute wieder jenen
Anspruch der katholischen Kirche nicht anerkennt und einen entschlosse-
nen und energischen Versuch macht, die Unterordnung der Kirche unter
die Staatsgewalt in allen nicht rein-religiösen und nicht rein-kirchlichen
Angelegenheiten derselben zu erzwingen, so nimmt sie nur einen Streit
wieder auf, der gerade so alt ist, als das deutsche Reich selbst. Ob
sie dabei glücklicher sein, ob sie ihren Willen dießmal und definitiv
durchsetzen wird, kann erst die Zukunft lehren. Vorerst ließ sie sich
wenigstens nicht einschüchtern; die Provinzial-Correspondenz, das offizielle
Organ der preußischen Regierung, constatirte sofort, daß es sich nach
dem angeführten Protest der Bischöfe also nunmehr „ausgesprochener-