Full text: Europäischer Geschichtskalender. Vierzehnter Jahrgang. 1873. (14)

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Nebersicht der Ereignisse des Jahres 1873. 
dem Apostolischen Stuhle zugestanden sind, vermögen wir aus diesem 
Grunde nicht Folge zu geben: sonst würden wir die Competenz des 
Staates, über kirchliche Dinge einseitig zu verfügen, anerkennen.“ Es 
läßt sich nicht läugnen, daß der nächste Gegenstand des Streites zwi- 
schen Staat und Kirche mit dieser Ausführung klar bezeichnet wird — 
vom Standpunkt der Kirche. Es war dieß der Standpunkt, der An- 
spruch der Kirche seit den Tagen Constantins, wo und so weit sie nicht mehr 
erreichen zu können hoffen durfte. Die römischen Päpste gingen jedoch 
bekanntlich viel weiter und nahmen seit dem Mittelalter und bis auf 
den heutigen Tag nicht bloß die volle Selbständigkeit der Kirche neben 
dem Staat, sondern vielmehr geradezu die Herrschaft der Kirche über 
den Staat in Anspruch und hie und da haben sie zeitweilig selbst 
diesen Anspruch dem Staat gegenüber durchzusetzen vermocht. Aber 
etwas ganz anderes ist es, wenn behauptet werden will, daß der Staat 
auch seinerseits diese Ansicht der Kirche anerkannt und zugestanden 
habe. Hier kann man überhaupt nicht vom Staate schlechtweg sprechen. 
Die katholische Kirche bildet eine in sich geschlossene Einheit und zumal 
die römischen Päpste haben es allerdings an Zähigkeit in ihren An- 
schauungen und an logischer Consequenz in der Entwickelung ihrer An- 
sprüche niemals fehlen lassen. Die Staaten dagegen sind und waren 
zu allen Zeiten eine Vielheit: was der eine zu irgend welcher Zeit 
zugegeben haben mag, hat ein anderer zu derselben Zeit bestritten und eben 
dieß war durch alle Jahrhunderte herab und zwar von demselben Con- 
stantin d. Gr. an bis heute der Fall und niemals ist es der Kirche 
gelungen, jene ihre Ansprüche zu allgemeiner und unbestrittener Gel- 
tung zu bringen. Niemals namentlich ist ihr dieß Deutschland gegen- 
über gelungen und wenn die preußische Regierung heute wieder jenen 
Anspruch der katholischen Kirche nicht anerkennt und einen entschlosse- 
nen und energischen Versuch macht, die Unterordnung der Kirche unter 
die Staatsgewalt in allen nicht rein-religiösen und nicht rein-kirchlichen 
Angelegenheiten derselben zu erzwingen, so nimmt sie nur einen Streit 
wieder auf, der gerade so alt ist, als das deutsche Reich selbst. Ob 
sie dabei glücklicher sein, ob sie ihren Willen dießmal und definitiv 
durchsetzen wird, kann erst die Zukunft lehren. Vorerst ließ sie sich 
wenigstens nicht einschüchtern; die Provinzial-Correspondenz, das offizielle 
Organ der preußischen Regierung, constatirte sofort, daß es sich nach 
dem angeführten Protest der Bischöfe also nunmehr „ausgesprochener-