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Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder.
gegen den von Bayern vorgeschlagenen Reichsrechtshofes ausspricht, da die
bisherige Entwickelung fast unausweichlich dahin führen werde. „Für die
Erhaltung der bisherigen obersten Landesgerichte, die der Interpellant zu
wünschen scheint, kann ich mich schon darum nicht verpflichten, weil es bereits
ein Reichsgericht, das Reichsoberhandelsgericht, gibt. Seit auf Antrag der
k. sächsischen Regierung das Bundesoberhandelsgericht als oberstes Instanz-
gericht für Handels= und Wechselsachen errichtet ward, ist nicht mehr res
integra. Seither wurden dem Bundesoberhandelsgericht durch die Gesetze
über das Urheberrecht und über die Haftpflicht weitere Competenzen, durch
das erste Gesetz auch in Strafsachen, übertragen, auch ist das Reichsober=
handelsgericht oberster Gerichtshof für Consulargerichtsbarkeitssachen und für
Elsaß und Lothringen. Ein Reichs-Strafgericht für Hochverrath und Landes-
verrath gegen das Reich sieht Art. 75 der Reichsverfassung vor. Selbst der
Herr Interpellant wird es nicht für möglich halten, diese Reichsgerichte
wieder zu beseitigen. Sodann waren sämmtliche Mitglieder der Dezember-
conferenz der Ansicht, daß eine Institution zur Erhaltung der Rechtseinheit,
soweit sie vorhanden, zur Sicherung der gleichmäßigen Anwendung des
Reichsrechts, unmöglich vorenthalten werden könne. Man hat allerdings
neben dem Reichsoberhandelsgericht als oberstem Instanzgericht einen Reichs-
rechtshof vorgeschlagen, der im Falle vorgekommener verschiedener Auslegung
des Reichsrechts Sprüche über die Rechtsfrage zu fällen hätte, welche für
die Zukunft sämmtliche Gerichte im Reiche binden würden. Der Vorschlag,
welcher Einer Function eines obersten Gerichts jedenfalls entspricht, hat,
insbesondere bei dem dermaligen Rechtszustande in Deutschland, manches
Ansprechende und ich habe für seine Inbetrachtnahme mich ausgesprochen,
konnte aber keinen Augenblick mir verbergen, daß Reichsoberhandelsgericht
und Reichsrechtshof, weil auf verschiedenen Prinzipien beruhend, nur in
anomaler Weise nebeneinander bestehen können, und daß die Wahrscheinlich-
keit dafür weit größer ist, daß das Reichsoberhandelsgericht den Reichsrechts-
hof in der Geburt ersticken, als daß dieser jenes verdrängen wird.“ Die
Kammer beschließt, die Rede des Ministers vorerst in Druck legen zu lassen
und in einer der nächsten Sitzungen daran eine Debatte zu knüpfen.
25. Jan. (Preußen.) Abg.-Haus: Fürst Bismarck gibt gelegentlich der
Berathung des Etats für 1873, auswärtige Angelegenheiten, Auf-
schluß über den Sinn und die Bedeutung der letzten Modification
des Ministeriums:
„Der Hr. Vorredner (Lasker) hat meiner Ueberzeugung nach vollkommen
Recht, wenn er annimmt, daß jedes Mitglied des Staatsministeriums nach
zwei Seiten hin aufzufassen ist, einmal nach der Verwaltung seines Ressorts,
das zweite Mal nach seiner politischen Anschauung als Mitglied des Staats-
ministeriums, nach seiner Mitverantwortlichkeit für die Gesammthandlungen
des Staatsministeriums. Der Präsident des Staatsministeriums aber, obschon
ihm ein größeres Gewicht der moralischen Verantwortlichkeit wie jedem
anderen Mitgliede ohne Zweifel zufällt, hat doch keinen größeren Einfluß
als irgend einer seiner Collegen auf die Gesammtleitung der Geschäfte, wenn
er ihn nicht persönlich sich erkämpft und gewinnt; unser Staatsrecht verleiht
ihm keinen. Will er diesen Einfluß gewinnen, muß er ihn durch Bitten,
Ueberredung, Correspondenzen, Beschwerden beim Gesammt-Collegium, kurz
durch Kämpfe gewinnen, die die Leistungsfähigkeit des Einzelnen in hohem
Maße beanspruchen. Die Last, die zu bewegen ist, wenn es gilt, einen
anders denkenden Collegen zu überzeugen, ist oft mit Bitte und Ueberredung
allein nicht zu bewegen. Dieser Umstand erhöht die Wichtigkeit des Mo-
ments, daß im Staatsministerium jedes Mitglied gleiche politische Bedeutung
in Anspruch nimmt und für die Gesammtleistung der Politik verantwortlich
ist. Nun ist es dem einem bestimmten Ressort nicht Angehörigen nicht mög-