Ilalien. (Oktober 30.—November Anf.) 381
waffneter Hand überschritten werden darf. Wir verlangen eine Grenze, wie
sie strategisch erforderlich ist für die Sicherheit unserer Besitzungen und das
Wohlbefinden unserer Garnisonen. Sobald wir diese Grenze und die schul-
dige Genugthuung erlangt haben, werden wir die erstere freudig den Waaren
und Produkten unseres Landes und Abessiniens erschließen, um zwischen
beiden Ländern den gegenseitigen Austausch anzubahnen, der uns für die
Zukunft nicht geringe Entschädigung verheißt. Aber vor allem ist die Be-
leidigung zu fühnen, und da die Tüchtigkeit der italienischen „Löwen“ heute
den Abesiniern nicht mehr zweifelhaft ist, so sollen sie auch von Italien als
Nation einen entsprechenden Begriff erhalten und durch das Licht unserer
Macht geblendet werden. Viktor Emanuel, die gekrönte Vaterlandsliebe,
hinterließ sterbend den Italienern als Testament das Wort, daß Italien nicht
bloß geachtet, sondern gefürchtet dastehen müsse. Und wir haben das Ziel
vor Augen, von allen zugleich geliebt und gefürchtet zu sein. Nur diejeni-
en, welche nichts für das Vaterland gethan haben, wissen nicht, was es
8 und welchen Wert es habe. Nur diese können glauben, das Gefühl der
eigenen Würde sei Verwegenheit, das Bewußtsein von der dem eigenen Rechte
schuldigen Achtung sei Herausforderung.“
30. Oktober. (Sozialisten.) Unter starker Beteiligung aus
Mittel- und Süd-Italien, vor allem aber aus der Romagna, findet
in Ravenna unter Vorsitz des Abg. Costa eine große Sozialisten-
versammlung statt.
Costa kritifiert die Aeußerungen Crispis in Turin, welcher die Ver-
dienste des liberalen Regiments um die Erhaltung des gesunden Geistes un-
ter den Arbeitern hervorgehoben hatte. Das soziale Problem bestehe einzig
in dem Dilemma entweder radikale Reform des Kapitals und der Arbeit
oder soziale Revolution.
„Die chronischen Uebelstände erregen die Sorge derer, welche die Ver-
gangenheit erhalten wollen, während den geschichklichen Bedingungen zufolge
ihre Erhaltung unmöglich ist. Die Sozialisten haben in keine der politischen
Parteien Vertrauen; denn um die soziale Neuordnung durchzuführen, muß
das Bollwerk des Eigentums niedergeworfen werden, vor welchem die Männer
der Rechten wie der Linken, ja sogar die Radikalen Halt machen. Die so-
zialistische Partei, die genötigt ist, innerhalb der bestehenden wirtschaftlichen
und politischen Einrichtungen sich zu entwickeln, muß die Mittel benützen,
welche die Regierung gewährt, um diese anzugreifen. Es kommt nur auf
den Anfang an; nachher geht es von selber weiter. Die Arbeiter organi-
sieren sich, um der Bourgeoisie den Kampf zu liefern, welchen diese am Ende
des vorigen Jahrhunderts gegen den Adel geführt hat.“
Sodann tadelt er auf das heftigste das afrikanische Unternehmen
und das Bündnis mit Deutschland und Oesterreich. Die Friedenszwecke des-
selben seien heuchlerisch, die Sozialisten hätten die einzig wahre Friedens-
richtung: den Kampfesruf gegen jede Unterdrückung und die Privilegien.
Es werden schließlich verschiedene Resolutionen angenommen, darunter
ein Protest gegen die Hinrichtung der Chikagoer Anarchisten. Sowohl
Radikale wie Anarchisten haben sich von der Versammlung fern gehalten.
31. Oktober— Anf. November. (Massaua.) Eine englische
Mission trifft in Massaua ein und begibt sich von dort zum Negus
von Abesfinien, um diesen zum Frieden mit Italien zu stimmen.
Die Expedition wird auf dem Wege nach Gura von ihren Dienern
verlassen, einige derselben zerschneiden die Wasserschläuche, andere suchen sie