Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Neunter Jahrgang. 1893. (34)

Vas Neutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Dezember 14.) 163 
wird, daß das Verhältnis zwischen den Dreibundstaaten ein ausgezeichnetes 
sei, also eine Steigerung gewissermaßen nicht möglich sei. 
Nun, meine Herren, müßte ja untersucht werden, ob, wenn die Han- 
delsverträge vor zwei Jahren nicht zu stande gekommen wären, das Ver- 
hältnis dadurch verschlechtert worden wäre. Dies, meine Herren, zu be- 
weisen, wird, glaube ich, nicht ganz leicht sein, zumal ja die Handelsver- 
träge zu stande gekommen sind; und ich glaube, daß selbst Herr v. Mar- 
schall, der sonst so beweislustig ist, hierfür den Beweis schwerlich erbringen 
könnte. Das eine möchte ich aber doch unter allen Umständen hier aus- 
drücken, daß von den drei Staaten des Dreibunds, die ja, vermöge der 
Stellung, die sie in Europa einnehmen, genötigt sind, eine schwere und kost- 
spielige Rüstung zu tragen, das Deutsche Reich unzweifelhaft den schwereren 
und kostspieligeren Teil dieser Rüstung zu tragen hat, und daß selbstver- 
ständlich an dieser Rüstung alle Berufsstände mit zu tragen haben, aber 
doch keiner in so hervorragender Weise wie die Landwirtschaft. Und ich 
glaube, daß man das auch gerade hier beim Abschluß des spanischen Han- 
delsvertrags sich nochmals vergegenwärtigen muß. 
Nun, meine Herren, ein zweiter Punkt, der damals ins Gewicht fiel, 
der heute aber vollständig wegfällt, das sind die Preise, die vor zwei Jahren 
für die Zerealien gezahlt wurden, gegenüber denjenigen Preisen, die heute 
gezahlt werden. Meine Herren, die Preise waren vor zwei Jahren gewiß 
ungesund hohe; das habe ich damals offen ausgesprochen, ebenso wie mein 
verehrter Freund Herr Graf v. Kanitz; und fie waren damals thatsächlich 
derartig hohe, daß zu befürchten stand, daß, wenn eine Reduktion der Zölle 
durch die Handelsverträge nicht stattfand, der Fall wohl eintreten könnte, 
daß die Zölle überhaupt beseitigt oder noch mehr reduziert würden als um 
1 .50 9; und das hat bei meinen politischen Freunden und mir, die 
damals für die Handelsverträge gestimmt haben, auch dazu geführt, mit 
dem Gedanken uns zu befreunden, daß durch die Handelsverträge eine Herab- 
setzung der Zölle einträte, die leichter zu ertragen sein würde, als wenn 
ein heftiger Ansturm gegen die Zölle überhaupt sich erhöbe. Und wir 
mußten uns auf das Versprechen des Reichskanzlers verlassen, daß die Zölle 
unter diesen in den Handelsverträgen vorgesehenen Satz nicht heruntergehen 
würden. 
Ich will hier gleich eine Berichtigung einschalten gegenüber dem Be- 
richt, in dem gesagt ist, die Zölle seien gebunden auch nach unten hin. 
Das ist aber durchaus nicht der Fall. Wir können es sehr wohl erleben, 
daß, wenn die Situation sich zu unseren Ungunsten verändert, wir von 
diesem Zoll noch einen Teil verlieren. 
Also, meine Herren, diese Gesichtspunkte, die damals maßgebend 
waren, sind doch heute, wo wir mehr als 100 K für den Roggen und 100 44 
für den Weizen pro Wispel weniger bekommen als vor 2 Jahren, also 
netto 80 Prozent weniger, bei diesen Handelsverträgen absolut nicht mehr 
maßgebend. Darum meine ich, daß man eine gewisse Entschuldigung gegen- 
über der Abstimmung vom Jahre 1891 hieraus entnehmen könnte. 
Aber, meine Herren, ich bin ganz offen: ich habe sehr bald, nach- 
dem die Zollverträge abgeschlossen worden waren und in Wirkung traten, 
eingesehen, daß der Abschluß der Zollverträge ein politischer Fehler war, 
und ein Fehler von meinen Freunden und mir, damals dafür zu stimmen. 
Von diesem Moment ab scheide ich mich von den verbündeten Regierungen; 
denn ich muß in Anspruch nehmen für mich, daß ich einsichtsvoller gewesen 
sei als die verbündeten Regierungen, und daß ich den zweiten Schritt nicht 
mitmache, während die verbündeten Regierungen weiter in Konsequenz des 
ersten Schrittes Fehler zu machen gewillt sind, resp. schon gemacht haben. 
11“
	        
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