110 I. 2. Revolution und Fremdherrschaft.
legung der orientalischen Händel gefunden zu haben: die Abtretung der
nördlichen Provinzen der Türkei und die Wiedervereinigung Galiziens mit
Polen sollten die Mittel gewähren für eine weitumfassende Ländervertau-
schung in Osteuropa, welche sämmtliche Mächte des Ostens mit Freuden
ergreifen würden; dem preußischen Vermittler war die Erwerbung von
Schwedisch-Pommern, Danzig und Thorn, Kalisch und Posen zugedacht,
kurz die Ausfüllung der Lücken in seiner Nord= und Ostgrenze, und dies
Alles ohne daß er das Schwert zu ziehen brauchte, allein durch die Zau-
berkraft der diplomatischen Federn!
Der überfeine Plan ward nicht nur, zu Hertzberg's Erstaunen, von
den beiden Kaisermächten zurückgewiesen; er stieß auch bald auf den Wider-
spruch der preußischen Bundesgenossen selber. Die Seemächte scheuten
den offenen Bruch mit den Kaiserhöfen, weil sie den ergiebigen russischen
Handel zu verlieren fürchteten; darum hatte England schon im sieben-
jährigen Kriege die einzige für Preußen werthvolle Bundeshilfe, die Ab-
sendung einer starken Flotte in die Ostsee, verweigert. Auch die Polen
sahen keinen Grund in die Abtretung von Danzig und Posen zu willigen,
welche vielleicht den Fortbestand der polnischen Republik noch hätte retten
können. Die Pforte endlich wollte von einer Verkleinerung ihres Gebiets
nichts hören, da ihre Heere sich des Angriffs der Kaisermächte glücklich
erwehrten. In solcher Verlegenheit setzte Preußen seine Forderungen herab
und verlangte nur die Wiederherstellung des Besitzstandes im Oriente.
Auch jetzt noch konnten die Verhandlungen die entscheidende Abrechnung
mit Oesterreich herbeiführen, wenn man sie also verschärfte, daß die Hof-
burg den Krieg annehmen mußte. Eben dies versäumte Hertzberg, während
der König mit richtigem Gefühle eine Entscheidung durch die Waffen ver-
langte. Inmitten dieser gewaltigen Verwickelung starb Kaiser Joseph, und
nun rächte sich die hochmüthige Geringschätzung, welche Hertzberg dem
Fürstenbunde erwiesen. Der Bund war bereits dermaßen geschwächt, die
Gesinnung der kleinen Höfe so unsicher, daß die große Frage der Kaiser-
wahl kaum noch als eine Frage erschien. König Friedrich Wilhelm ließ
nach seiner unbeständigen Weise die kriegerischen Pläne bald wieder fallen;
er beruhigte sich bei der Erwägung, daß sein Oheim selber die Erwerbung
der Kaiserwürde für sein Haus nicht gewünscht hatte, und bot unbedenklich
dem Nachfolger Joseph's, Leopold II., die Kaiserwürde an, als dieser ihm mit
nachgiebigen Erklärungen entgegenkam. Er war zufrieden mit einem halben
Siege und schloß am 26. Juli 1790 den unseligen Reichenbacher Vertrag,
der einfach den Besitzstand vor dem orientalischen Kriege wiederherstellte.
Wohl war es ein Erfolg, daß Preußens Drohungen das Haus Loth-
ringen zwangen das eroberte Belgrad wieder herauszugeben, den mit aus-
schweifenden Hoffnungen und großem Aufwande unternommenen Türken-
krieg ruhmlos zu beendigen. Und doch wußte Leopold wohl, warum er
froh aufathmend schrieb: „Es ist der am wenigsten schlechte Friede, den